Leserparlament | Leipzig | 5. September 2019

»Zeit, dass wir uns in Leipzig persönlich kennenlernen!« 10 Jahre ZEIT im Osten mit Giovanni di Lorenzo

Was war das für eine Woche? Nur wenige Tage nach den Landtagswahlen in Sachsen und Brandenburg jährte sich der Bürogeburtstag der »ZEIT im Osten« zum 10. Mal. Doch wie wollen wir als Journalisten unseren Geburtstag begehen, in diesen aufgewühlten Zeiten?

Nach einem ausschweifendem Fest stand den Kollegen aus Leipzig nicht der Sinn. So entschieden Martin Machowecz (Büroleiter »ZEIT im Osten«), Anne Hähnig (Redakteurin in Leipzig) und Patrik Schwarz (Geschäftsführender Redakteur) einen Geburtstag der anderen Art zu feiern: Einen Abend lang wollten wir uns als Zeitung den Fragen der Leserinnen und Leser stellen. Und dafür reiste ZEIT-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo an. Einen Abend wollten wir Ihnen die »Geschichte hinter der Geschichte« erzählen. Und Ihnen Rede und Antwort stehen: Wie überprüft die ZEIT Fakten? Wie ist es um die Meinungsvielfalt in der Redaktion bestellt? Und wie lange arbeitet ein Redakteur an einem Artikel?

Wir danken über 300 Abonnentinnen und Abonnenten, die mit uns ein so leidenschaftliches Fest des Journalismus gefeiert haben – auch wenn die Themen des Abends teilweise sehr ernst waren.

Alle Daheimgebliebenen laden wir nun hier ein, in Fotos, Audioausschnitten und Videos die Reporter und den ZEIT-Chef Giovanni di Lorenzo im Leipziger Kupfersaal nochmals zu erleben.

Wenn Giovanni di Lorenzo auf die Bühne geht, dann häufig um einen prominenten Gast im 1:1 zu interviewen. In seinem Leserparlament hat sich der ZEIT-Chef darauf eingelassen, dass er diese Rolle einmal mit Ihnen tauscht. 300:1 stellte sich Giovanni di Lorenzo den Fragen und Anregungen seiner Abonnentinnen und Abonnenten.
Besonders viele Leser versuchten Giovanni di Lorenzo davon zu überzeugen, dass die Texte der Leipziger Kollegen nicht nur in den fünf neuen Bundesländern zu lesen sein sollten, sondern in der bundesdeutschen Ausgabe. Leider konnten wir diesem Wunsch nicht sofort nachkommen. Doch am späteren Abend fragte ich Martin Machowecz, wie viele seiner Texte denn „nur“ in der ZEIT im Osten zu lesen seien und wie viele in der bundesweiten ZEIT? Darauf antwortete er mir, dass mehr als die Hälfte der Stücke des gesamten Leipziger Korrespondentenbüros inzwischen in den so genannten Mantelteilen Politik, Feuilleton, Wissen oder Z-Zeit zum Entdecken zu lesen seien.
Das Motto des Abends: »Zeit, dass wir uns kennenlernen«, haben wir ganz wörtlich verstanden und so verteilte der ZEIT-Chef an die Abonnentinnen und Abonnenten, die am längsten und am kürzesten dabei sind, einen kleinen Dank in Flaschenform. ZUM ZEIT SHOP >>
Viele Fragen der Leserinnen und Leser bezogen sich auch 30 Jahre nach dem Fall der Mauer auf die Unterschiede zwischen Ost und West.
Und diese junge ZEIT-Leserin in Leipzig wollte von Giovanni di Lorenzo wissen, welche Lehren die Redaktion aus der Relotius-Betrugsaffäre des SPIEGEL gezogen hat?
Der ZEIT-Chef erzählte dann davon, dass sich die Chefredaktion gemeinsam mit den Reportern darauf geeinigt habe, dass sich die Journalisten noch mehr als zuvor bemühen ihre Beobachtungen zu belegen – in Handyfotos, Mitschriften und in Informantenkontakten. Und die Chefredaktion behält sich vor, ähnlich zu einem Dopingtest im Sport, unangekündigt diese Reportage-Belege einzusehen und zu überprüfen.
Nach über einer Stunde Rede und Antwort gaben die Anwesenden dem ZEIT-Chef noch ihre offen gebliebenen Fragen und Themenanregungen mit in die Redaktionssitzung nach Hamburg. Im Newsletter der »Freunde der ZEIT« und in den folgenden Leserparlamenten in München und Köln halten wir Sie auf dem Laufenden, welche Anregungen die Redaktion aufgenommen hat.
Durch den Abend hindurch sorgte die deutsch-mexikanische Sängerin Alin Coen mit ihren Liedern für nachdenkliche Leichtigkeit und beim einen oder anderen auch für Gänsehaut. Alin ist die große Schwester unserer Dossier-Kollegin Amrai Coen. Und nachdem ihre Lieder uns schon aus den Kollegenbüros entgegen hallten, fragten wir sie, ob sie nicht Lust habe, Giovanni di Lorenzos Leserparlament auf seiner Deutschlandtour zu begleiten. Nach Frankfurt war sie nun auch in Leipzig mit dabei und wird im Münchner Gasteig auch zu hören sein. Hier schon einmal eine Probe, wenn Sie Lust auf Gänsehaut haben: MEHR VON ALIN COEN >>
Den zweiten Teil des Abends eröffnete Patrik Schwarz, der heute als geschäftsführender Redakteur die Regionalausgaben verantwortet. Er wollte Giovanni di Lorenzo nicht von der Bühne entlassen, ohne seinem Chef noch die Erinnerung an eine ganz besondere Reportage in der Punker-Szener der DDR zu entlocken. Hören Sie das Gespräch zwischen Patrik Schwarz und Giovanni di Lorenzo (14 Min) über 30 Jahre Mauerfall, übermüdetere FDJler und die sogenannten »Hühner-Menschen«.
Nach über zwei Stunden mit dem Chef im 1:300 war es höchste Zeit, die Reporter des Leipziger Büros näher kennen zu lernen
Martin Machowecz begann mit seinem Werkstattbericht, in dem er auf zehn Jahre Schreiben über und aus dem Osten der Republik zurück blickte.
Der andere Blick auf den Osten

Das Video (12 Min) des »Hinter der Geschichte«-Vortrags von Martin Machowecz finden Sie ebenfalls hier im Rückblick. Seit zehn Jahren versuchen er und seine Kollegen, den Osten anders zu erzählen; politisch, gesellschaftlich und kulturell. Wie kann der Osten als ein ganz selbstverständlicher Teil dieser Republik wahrgenommen werden?

Was in Chemnitz geschah – und was sich seither in Sachsen zum Guten wendete

Reporterin Anne Hähnig, die für den Abend ihre Elternzeit unterbrach, berichtete von der Wut, die losbrach, nachdem der Deutschkubaner Daniel H. in Chemnitz von Flüchtlingen erstochen wurde. Ihren Werkstattbericht aus einem Jahr Reporterarbeit zwischen Chemnitz und Leipzig überschreibt Anne hoffnungsvoll: »Was in Chemnitz geschah – und was sich seither in Sachsen zum Guten wendete«. Ihr Video (12 Min) können Sie hier auch ansehen.

Ost-Identität: Herkunft ist kein Makel

Als Dritte im Bunde berichtete Valerie Schönian von einer sehr persönlichen Geschichte, in der sie als Langzeitprojekt über die Generation der Nachwende-Kinder erzählt, zu der sie selbst auch gehört: Hier nun das Video (12 Min) über »Ost-Identität – Unsere Herkunft ist kein Makel«.

Und allen, die nach den Kurzvorträgen noch Lust auf mehr Geschichten der Kollegen hatten, konnte Patrik Schwarz ein ganz besonderes Geschenk auf den Weg geben: Das über 400 Seiten starke Buch »Guter Osten Böser Osten« mit gesammelten Artikeln aus zehn Jahren des Korrespondentenbüros – ein gemeinsames Projekt der ZEIT mit der Bundeszentrale für politische Bildung.
Und nach Valeries, Martins und Annes Geschichten hinter den Geschichten beendeten wir das Bühnenprogramm des Abends mit Konfetti-Regen und zogen an die Bar des Kupfersaals um.
Auf die nächsten zehn Jahre spannende Geschichten aus einem wiederveinigten Land – nicht nur auf den Regionalseiten »ZEIT im Osten«! Von links: Wecke Tzanakakis, Cathrin Scharkowski, Hanna Gieffers, Alin Coen, Debora Schnitzler, Patrik Schwarz, Valerie Schönian, Anne Hähnig und Martin Machowecz.
Fotos: Ina Mortsiefer für DIE ZEIT

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