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Die Schriftstellerin, Journalistin und Mafia-Expertin Petra Reski über die biografische Erzählung »Annette, ein Heldinnenepos« von Anne Weber:

»Ich mochte die Ambivalenz dieser Heldin und die Erzählstimme der Schriftstellerin Anne Weber, die immer wieder in das Geschehen eingreift«

 

Ich gehöre zu denjenigen, die immer extrem skeptisch sind gegenüber allem, was bejubelt wird, deshalb hätte ich »Annette, ein Heldinnenepos« von Anne Weber fast nicht gelesen: Deutscher Buchpreis und Versform noch dazu, das war für mich, die im Romanistikstudium mit dem Rolandslied traktiert wurde, zu viel des Guten. Einerseits. Andererseits machte es mich neugierig, dass es sich dabei um die tatsächliche Lebensgeschichte der heute fast hundertjährigen Anne Beaumanoir handelt. Als ich in einer Buchhandlung stand und in dem Buch blätterte, stellte ich erleichtert fest: weder Reim noch feststehender Rhythmus. Eher ein Roman mit Zeilenfall – der mir sofort gefällt, schon nach diesem Satz: »Sie glaubt nicht an Gott, aber er an sie.« Schnell war ich gefangen von der Geschichte dieser Heldin, die bereits als junges Mädchen in der Résistance mitkämpfte, deren Regeln sie sich schon bei ihrer ersten Heldentat widersetzte (sie rettete im Alleingang zwei jüdische Kinder) und die sich später der algerischen Befreiungsfront FLN anschloss, weshalb aus der Heldin der Résistance plötzlich über Nacht eine Verräterin Frankreichs wurde. Eine zerrissene Protagonistin, dreifache Mutter und ausgebildete Ärztin, die ihre Kinder, wenn man so will, im Stich lassen musste. Ich mochte die Ambivalenz dieser Heldin und die Erzählstimme der Schriftstellerin Anne Weber, die immer wieder in das Geschehen eingreift, mit Kommentaren wie »Nicht so schnell, sonst kippt der Spannungsbogen« oder »Camus war friedlich; Annette war es nicht«, sodass man lachen muss – und sich durch ihre Kommentare gleichzeitig fast in eine mittelalterliche Erzählsituation versetzt fühlt. Und ja, es war der ausgeprägte Gerechtigkeitssinn dieser Heldin, der mich sofort angesprochen hat. Vielleicht liegt es daran, dass ich mich als Journalistin und Schriftstellerin ziemlich viel mit der Mafia beschäftigt habe, und da wird das Etikett des Helden oft sehr voreilig auf einen Menschen aufgeklebt. Das Buch hat mich so sehr begeistert, dass ich mir auch noch das Hörbuch gekauft und auf einer Fahrt von Venedig nach Stuttgart gehört habe, gesprochen von Christina Puciata, es war grandios.

Was ich sonst noch lese? »Homeland Elegien«, ein Buch, das ich wegen seines schwurbeligen Titels nicht gekauft hätte – wenn es mir nicht eine gute Freundin empfohlen hätte: Als Tochter von Vertriebenen interessieren mich Herkunft und Heimat immer, gepackt hat mich, dass der Autor Ayad Akthar so gekonnt mit den Genres spielt: Familienroman, Coming-of-Age, Autofiktion – und ein undogmatisches Ergründen von Identität. Und dann gibt es noch ein Buch, das ich immer wieder in die Hand nehme: »Schrecklich amüsant, aber in Zukunft ohne mich«, von David Foster Wallace. Es ist ein unfassbar hellsichtiges und komisches Buch – das wie kein Zweites den Irrsinn des Kreuzfahrttourismus beschreibt. Wenn ich darin lese und laut lache über Sätze wie »Die teilentblößten Leiber, die ich auf der Nadir zu sehen bekam, befanden sich in mannigfaltigen Stadien körperlichen Zerfalls. Wie ja das Meer überhaupt eine einzige große Zersetzungsmaschine ist«, fühle ich mich erleichtert. Es heißt ja, dass Lachen die Schmerzempfindung verringert, deshalb ist dieses Buch für uns Bewohner von Venedig fast so etwas wie eine Medizin.

 

Eine Deutsche, die sich seit dreißig Jahren in Venedig zu Hause fühlt – das kann man sich noch vorstellen. Aber eine Deutsche, die als Schrift­stellerin und Journalistin immer wieder kundig über die Mafia schreibt, das fällt denn doch richtig aus der Reihe. So tief hat sich Petra Reski in dieses Thema hineingeschraubt, dass daraus neben faktenreichen Reportagen und Porträts auch drei Romane entstanden sind. Heldin der Krimi­reihe ist eine sizilianische Ermittlerin mit dem bezeichnenden Namen Serena Vitale. Petra Reskis jüngstes Buch trägt den Titel »Als ich einmal in den Canal Grande fiel«. Dieser etwas anderen Liebeserklärung an eine fast zu Tode geliebte Stadt bescheinigte die taz kürzlich »Witz, Kampfeslust und Leidenschaft«.

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