ZEIT-Redakteurin Anna-Lena Scholz über den Roman »Writers & Lovers« von Lily King, der sich mit der großen Frage des Lebens beschäftigt: War’s das schon?
»Nackt steht man beim Lesen da, offen für die Seelenwelt dieser Figur, auch seiner eigenen.«
Schreiben, heißt es oft, sei Kopfarbeit. Stimmt aber gar nicht! Schreiben ist Körperarbeit: »Das Schwerste ist es, jeden Tag wieder, in den Text hineinzukommen, die Membran zu durchstoßen. Das Zweitschwerste ist es, wieder herauszufinden. Manchmal versinke ich zu tief und tauche ruckartig wieder auf. Dann fühle ich mich nackt und weit offen.« Ein Zustand, den Casey begehrt und fürchtet zugleich. Casey – die 31-jährige Protagonistin dieses Romans. Überschuldet, in einer kleinen Bude hausend, irrlichtert sie durch ihr Leben und versucht nebenbei etwas Großes: ihre eigene Stimme zu finden. Casey versinkt in den Buchstaben, erstickt fast an ihnen – aber der Text, den sie schreibt, immer in den frühen Morgenstunden, bevor ihre Schicht als Kellnerin beginnt, hält sie auch am Leben. Er tröstet gegen die Trauer nach dem Tod ihrer Mutter. Bleibt, derweil die Männer gehen und kommen. Gibt ihr eine Antwort auf die Frage, die uns alle irgendwann ereilt: War‘s das schon? Ein bisschen Leben, Tod, Liebe, Schmerz? Casey hofft auf mehr. Aber sogar das Hoffen muss man sich erst mal zutrauen. Auch Lesen ist etwas Körperliches. Leicht ist es, in die Texte von Lily King reinzukommen, schwer ist es, wieder herauszufinden. Nackt steht man beim Lesen da, offen für die Seelenwelt dieser Figur, auch seiner eigenen. Meiner besten Freundin ging es genauso. Nur mit dem Ende waren wir sehr unzufrieden: Casey, die wild ist und rau und verloren, wird auf den letzten paar Seiten auf einmal sanft und glatt. Dabei zeigt Lily King doch gerade, dass es die suchenden Frauen sind, die besonders viel zu sagen haben.
Anna-Lena Scholz ist Redakteurin im Wissen-Ressort der ZEIT. Vor fünf Jahren war sie mal Hospitantin im Feuilleton. Ob sie dieser Roman vielleicht interessiere?, fragte der Literaturredakteur und legte ihr Lily Kings »Euphoria« auf den Tisch. So entstand diese Rezension. In ihrem Büro hängt ein Poster mit Elfriede Jelinek und einem Satz, den sie liebt, obwohl sie bezweifelt, dass er stimmt: »Man weiß nur, was man liest«