Die ZEIT-Journalistin und Buchautorin Annabel Wahba über den Roman »Schöne Welt, wo bist du« von Sally Rooney:

»Es entfaltet sich eine Magie, von der ich finde, dass man sich ihr nicht entziehen kann.«

Dieses Buch kam durch einen Zufall zu mir. Der Verlag schickte mir ein Rezensionsexemplar, was so gut wie nie passiert, weil ich selten über Literatur schreibe. Warum man bei diesem Roman also an mich dachte, weiß ich nicht. Er lag einige Zeit ungelesen auf meinem Schreibtisch, bis eines Tages eine Kollegin ihn entdeckte und rief: »Oh, der neue Roman von Sally Rooney! Den musst du lesen.« Nun war ich neugierig und nahm das Buch mit nach Hause (ich lese am liebsten liegend auf der Couch oder abends im Bett).
Und tatsächlich war ich von der ersten Seite gefangen. Ich las »Schöne Welt, wo bist du« in wenigen Tagen aus und war dann so süchtig nach Sally Rooneys Literatur, dass ich mir gleich noch ihre beiden anderen Bücher kaufte und sie mir wie im Rausch einverleibte – so was war mir lange nicht mehr passiert.

Eigentlich eigenartig, denn beschreiben würde ich ihre Bücher so: Sie handeln von jungen, eher kühlen, aber woken Frauen, die in Irland leben, ein bisschen unglücklich sind und sich in komplizierte Beziehungen zu Männern verstricken, bei denen man sich denkt: »Warum redet ihr immer aneinander vorbei? Ihr gehört doch zusammen, das merkt doch jeder!« In Rooneys Büchern geht es auch immer um Klassenbewusstsein, ihre Figuren haben marxistische Ideale, auch wenn sie wie Alice mehr Geld als genug haben.

Ob »Schöne Welt, wo bist du« wohl Rooneys persönlichstes Buch ist? Jedenfalls ist die Hauptfigur Alice eine Bestsellerautorin, die unter ihrem Erfolg leidet. Der hat sie recht plötzlich in die Öffentlichkeit katapultiert, ohne dass sie dadurch weniger einsam wäre als zuvor. Über eine Dating-App lernt sie den Lagerarbeiter Felix kennen, mit dem sie erst ein erfolgloses Date hat, ihn dann aber einlädt, sie auf eine Lesereise nach Italien zu begleiten, und eine Affäre mit ihm beginnt. Sie finden lange nicht zueinander, obwohl wir LeserInnen spüren, dass beide nichts mehr wollen als das. Alice’ Geschichte erzählt die Autorin im Wechsel mit Eileens Geschichte, der besten Freundin von Alice, die ebenfalls schreibt, aber weniger erfolgreich ist. Eileen ist eigentlich in ihren Jugendfreund Simon verliebt und er in sie, doch auch diese beiden gestehen es sich nicht ein. Dass man mit den Menschen im Buch mitfiebert, als wären sie enge Freunde, schafft Sally Rooney durch einen sprachlichen Trick: Sie zoomt von außen an die Personen heran wie mit einer Kamera. Und dann ist sie mittendrin und beobachtet jede kleinste Bewegung: wie sie sich Krümel vom Schoß wischen oder Trinkgeld in einen Becher neben der Kasse werfen. Sally Rooney charakterisiert ihre Figuren mit Alltagsgesten und macht sie uns so sympathisch. Es sind kleinste Beobachtungen, und doch dringen wir tief in die Psyche der Personen vor. So entfaltet sich eine Magie, von der ich finde, dass man sich ihr nicht entziehen kann.

 

Annabel Wahba ist Textchefin beim ZEITmagazin und Buchautorin. Als ihr Bruder im Sterben lag, fing Annabel an, sich mit ihrer Familiengeschichte und vor allem der ägyptischen Herkunft ihres Vaters zu beschäftigen. Daraus wurde der autofiktionale Roman »Chamäleon«. Ein Buch, das Sie unbedingt lesen sollten! Und wenn Sie auf der Frankfurter Buchmesse sind, dann schauen Sie doch heute Abend (Donnerstag, 18 Uhr) bei der Openbooks-Lesung in der St. Katharinenkirche vorbei.

 

 

Schöne Welt, wo bist du 

von Sally Rooney (2021)

Zwischen Dublin und einem kleinen Ort an der irischen Küste entfaltet Sally Rooney eine Geschichte von vier jungen Menschen, die sich nahe sind, die einander verletzen, die sich austauschen: über Sex, über Ungleichheit und was sie mit Beziehungen macht, über die Welt, in der sie leben. »Schöne Welt, wo bist du« ist eine universelle Geschichte über den Raum zwischen Alleinsein und Einsamkeit und über die Freiheit, sein Leben mit anderen zu teilen. In ihrem Roman »schlagen sich die Menschen durch eine Gegenwart, der die Verheißungen der Moderne abhandenkamen«, so beschreibt es die ZEIT-Redakteurin Susanne Meyer in ihrer Rezension auf ZEIT ONLINE.

 

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