Der Schriftsteller und Kolumnist Axel Hacke über den Roman »Ein Sohn der Stadt« von Kent Haruf:
»Ich kann sagen, dass in jenen zwei Wochen, in denen ich das Buch abends im Bett las, nie die Sonne aufging, ohne dass ich mich auf die Zeit vor dem Einschlafen gefreut hätte.«
Wer so ein Buch nicht sofort liest, dem ist nicht zu helfen. Also las ich es, bin Haruf seitdem verfallen, und weil sich das herumgesprochen hat, schenkte mir jemand »Ein Sohn der Stadt«, sein zweites Buch, 1990 schon in den USA erschienen, aber jetzt erst bei Diogenes.
Alle Bücher Harufs spielen in einer fiktiven Kleinstadt namens Holt irgendwo in den Weiten Colorados, einer von vielen mehr oder weniger identischen Orten in Amerika und deshalb eine ideale Bühne für das, was Haruf zu erzählen hat. Wenn ich es richtig sehe, taucht kaum eine Person aus einem seiner Werke in einem anderen wieder auf, es sind immer neue Storys mit immer neuem Personal, nur eben alle aus Holt. Was aber wiederkehrt, sind die großen Gefühle, um die es geht: Liebe, Trauer, das Verhältnis des Einzelnen zur Gemeinschaft, Gemeinheit, Irrsinn, Gier …
In »Ein Sohn der Stadt« geht es um einen zutiefst asozialen Menschen, Jack Burdette heißt er, der sich für nichts und niemanden interessiert außer für sich selbst. Burdette war einmal ein Lokalheld, als Footballspieler nämlich: Der Ort war ihm geradezu verfallen, weil er der lokalen Mannschaft zu etlichen Siegen verhalf und Holt für eine Weile glänzen ließ. Später verschwindet Burdette dann für einige Jahre spurlos mit dem gesamten Geld der landwirtschaftlichen Kooperative, deren Manager er geworden war, lässt seine Familie zurück und wütende Bürger. Doch eines Tages kommt er wieder – und damit beginnt diese Geschichte von Brutalität und Zartheit, Verschlagenheit und Zuneigung, Charisma und Spießertum, Verlorenheit und Hoffnung.
Haruf erzählt alles in seiner ruhigen, schnörkellosen, unprätentiösen Sprache, und ich kann sagen, dass in jenen zwei Wochen, in denen ich das Buch abends im Bett las, nie die Sonne aufging, ohne dass ich mich auf die Zeit vor dem Einschlafen gefreut hätte. Ich lese ja abends grundsätzlich keine Sachbücher, das tue ich bei Tageslicht. Abends!? Nur Fiktion, Ausgedachtes aller Art, Geschichten, die mich aus meinem schnöden Leben vor Tagesschluss noch mal woanders hintragen, vom Krimi (zuletzt der große Italiener Giorgio Scerbanenco) bis zum Roman (neulich mal wieder Steinbecks »Straße der Ölsardinen«). Und jetzt ist klar: Haruf muss man lesen, alles von ihm, und genau das werde ich jetzt tun.Vor vielen Jahren erschien ein Buch, das Axel Hacke gemeinsam mit ZEIT-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo geschrieben hatte. Sie kannten einander aus der Redaktion der »Süddeutschen Zeitung«. »Wofür stehst Du?«, eine Aufforderung zur Selbstbefragung, wurde ein Dauerbestseller. Wie eigentlich jedes Buch, das Hacke, der Schriftsteller und mit Preisen überhäufte Kolumnist des »Süddeutsche Zeitung Magazins« (»Das Beste aus aller Welt«) verfasst. Die Titel seiner Bücher zeichnet einerseits die Hacke-typische Überraschungseffekt aus, so etwa sein jüngster Wurf »Im Bann des Eichelhechts«, andererseits eine messerscharfe Eindeutigkeit: »Über den Anstand in schwierigen Zeiten und die Frage, wie wir miteinander umgehen«. Wir warten auf mehr: Im März wird »Ein Haus für viele Sommer« erscheinen.