Benno Fürmann über den Roman »Die Straße« von Cormac McCarthy:
»Ich habe noch nie ein Buch gelesen, das so reduziert ist auf das, was wichtig ist im Leben.«
Mit einem Lieblingsbuch ist es wie mit einem Lieblingsfilm oder -lied – an manchen Tagen habe ich keins, und an anderen habe ich zehn. Hier möchte ich ein Buch weiterempfehlen, das mich besonders berührt hat. Bei keinem anderen habe ich so geweint. Letztendlich verhandelt das Buch die Geschichte von einem Vater und seinem Sohn, die nach dem Suizid der Mutter auf sich gestellt sind. Die beiden schlagen sich durch eine apokalyptische Welt, in der es nur noch wenige Menschen gibt. Die Überlebenden haben jegliche Moral hinter sich gelassen und schrecken auch vor Kannibalismus nicht zurück. Der Vater weiß, während er mit dem Sohn durch diese verlorene Welt taumelt, dass er selbst bald sterben muss. Er versucht seinem Sohn eine gewisse Ethik im Leben angedeihen zu lassen. Die Fackel der Menschlichkeit in die Höhe zu halten – das hat mich so umgehauen an dieser sonst apokalyptischen Szenerie. Mich fasziniert der Gedanke: Auch wenn alles unausweichlich scheint oder es nur eine minimale Chance gibt, zu überleben, dann lohnt es sich trotzdem, sich auf diesen schmalen Grat zu fokussieren. Ich habe selbst meine Eltern früh verloren, deshalb berührt mich die Geschichte vielleicht besonders. Der Vater, der die ganze Zeit weiß, dass er gehen muss, und seinen Sohn bis zum letzten Atemzug mit allem, was er hat, beschützt. Ich habe noch nie ein Buch gelesen, das so reduziert ist auf das, was wichtig ist im Leben. Das gilt für das, was verhandelt wird, aber das gilt auch für die äußeren Umstände, die reduzierter nicht sein könnten. Man ist im wahrsten Sinne des Wortes auf sich selbst zurückgeworfen. Mir wurde »Die Straße« von dem Regisseur Christian Petzold empfohlen. Wir saßen damals mit der Schauspielerin Nina Hoss an der Ostsee zusammen und haben übers Lesen gesprochen. Seitdem habe ich das Buch oft weiterverliehen und verschenkt. Wobei das letzte Buch, das ich verschenkt habe, war vor drei Tagen »Der Prophet« von Khalil Gibran. Was ich am meisten zwischendurch lese und am meisten schätze, sind die Großmeister der amerikanischen Kurzgeschichte. Also Richard Yates, Richard Ford, Raymond Carver oder John Cheever. Das sind Geschichten, die ich gerne und teilweise auch mehrfach gelesen habe. Die Amerikaner haben es einfach drauf, durch physische Beschreibung mir die Innenwelt einer Figur fühlbar zu machen. Das gefällt mir. Die Reduktion aufs Wesentliche ist eine Kunst, vor der ich großen Respekt habe.
Ob ich mit jemandem aus dem Buch tauschen würde? Nein, auf keinen Fall. Unsere Welt hat ja auch ihre Probleme: Was bedeutet es dieser Tage, anständig zu sein? Wie viel sollte man noch fliegen? Wie findet man seinen Kompass in einer scheinbar immer unübersichtlicher werdenden Welt? Ganz ähnliche Fragen haben mich bei meinem eigenen Buch (»Unter Bäumen«) auch umgetrieben. Und das verbindet die Dystopie von »Die Straße« mit dem Hier und Jetzt: Je aussichtsloser die Lage erscheint, desto klarer erscheint uns manchmal der Weg. Trotzdem bin ich lieber im Heute unterwegs, als dass ich durch eine dystopische Welt stolpere, wo ich keinem Menschen mehr vertrauen kann, außer meinem eigenen Sohn. Im Gegensatz dazu erscheint mir trotz der klimatischen Herausforderung unsere Gegenwart nahezu paradiesisch.
Benno Fürmann zählt zu den gefragtesten Schauspielern des Landes. Als Autoliebhaber Günni ist er zum Serienstar geworden, als junger Boxer mit »Die Bubi Scholz Story« gelang ihm der Durchbruch. In den Produktionen »Anatomie«, »Der Krieger und die Kaiserin« und »Nordwand« brillierte er in den Geschichten anderer. Jetzt dürfen wir mehr über seine eigene Geschichte erfahren. Gestern (1.3.) kam sein erstes Buch raus, das er gemeinsam mit dem Journalisten Philipp Hedemann geschrieben hat. In »Unter Bäumen« nimmt Fürmann uns mit auf seine Lebensreise und erzählt uns, warum er, wann immer es ihm möglich ist, die Nähe zur unberührten Natur sucht. Das Schreiben des Buches vergleicht er mit einer Geburt: »Ich hatte meinen Laptop neun Monate immer und überall dabei. Wenn ich sonst kürzere Texte geschrieben habe, dann lieber mit dem Füllfederhalter. Das Buch habe ich auch mit Tinte angefangen, aber ich habe schnell gemerkt: Das geht nicht. Also habe ich mir ›Word‹ erklären lassen.« Lesen tut er dennoch weiterhin am liebsten in haptischen Büchern – im Ohrensessel, mit tollem Licht, Bleistift und Lesezeichnen und einer Tasse Tee.