Die Fernsehmoderatorin und Produzentin Bettina Böttinger über den Roman »Sisi« von Karen Duve:
»Auf diese Weise hat Duve anhand der Reitabenteuer ein Porträt dieser Frau entworfen, das so gar nicht übereinstimmt mit dem rührenden Sisi-Bild der Filme aus den Fünfzigerjahren.«
Ursprünglich sollte »Sisi« ein Buch über Pferde werden, Karen Duve reitet selbst und hat Pferde. Bei der historischen Betrachtung des Reitens stieß sie immer wieder auf Sisi, die österreichische Kaiserin und todesmutigste Reiterin ihrer Zeit. Auf diese Weise hat Duve anhand der Reitabenteuer ein Porträt dieser Frau entworfen, das so gar nicht übereinstimmt mit dem rührenden Sisi-Bild der Filme aus den Fünfzigerjahren. Diese Filme zeigten die 15-jährige Sisi. Duve widmet sich der Frau, die mit Ende dreißig immer noch als schönste Frau ihrer Zeit gilt, sich aber mit aller Kraft gegen das Älterwerden stemmt. Das wird wunderbar ironisch geschildert, etwa auf den ersten Seiten, als alles ehrfürchtig niederkniet vor der Erhabenheit der Kaiserin, die sehr bedacht darauf ist, nicht zu lächeln … Dann sind plötzlich doch ihre Zähne zu sehen, und das Bild ist torpediert, denn die braunen Zähne verraten Sisis wahres Alter. Das wird nicht böse, sondern latent ironisch dargestellt. Klar ist nur, dass diese Frau nicht klarkommt mit ihrem Leben, mit ihrer Rolle, der sie mit der Reiterei zu entkommen versucht. Ihr Mann, der mächtigste Mann der Welt, sagt, eine Kaiserin gehöre dem Volk. Politisch hat sie gar nichts zu sagen. Sie soll nur die Schöne sein. Diese Rolle macht sie depressiv, und einen Ausweg bietet ihr Hobby. Was sehr komisch zu lesen ist: Wie sie unterwegs ist mit reitwahnsinnigen Engländern, darüber habe ich immer wieder sehr gelacht! Reitunfälle gehörten damals zum Alltag. Beschrieben werden englische Seniorenheime voller debiler Adliger, denen zahllose Reitunfälle den Verstand geraubt haben.
Sisi, im hautengen Reitkostüm im Damensattel unterwegs, lässt alle anderen hinter sich, überspringt Hecken und Wassergräben. Diese Nicht-Angst vor dem Tod zeigt, dass ihr das Leben letztlich gleichgültig ist. So konnte sie diese Besessenheit ausleben. Ihr liebster Kumpan auf diesen Ausflügen ist ein absolut nicht standesgemäßer Engländer, ebenso irre wie sie selbst.
Das liest sich in dem typischen, sehr feinen Duve-Stil, lakonisch, manchmal böse, aber nicht hämisch. Erwähnen möchte ich, dass dieses Buch äußerst gründlich recherchiert ist, was die höfische Zeit, das zeremonielle Brimborium betrifft sowie die unterwürfigen Frauen in ihrer Umgebung. Eine Quelle für die Autorin ist das Tagebuch von Sisis Hofdame. Eine Rolle spielt auch Sisis Nichte Marie Wallersee, die um ihren Freiraum kämpft. Doch als sie der romantischen Liebe frönen will, zwingt Sisi sie quasi dazu, in ihr konventionelles Eheunglück zu rennen.
Seit einiger Zeit lese ich mehr Sachbücher als früher. Gerade habe ich »Der Trost der Schönheit« von Gabriele von Arnim angefangen, deren Buch »Leben ist ein vorübergehender Zustand« ich großartig fand. Außerdem haben mich zwei Bücher meines Freundes Michel Friedman sehr beeindruckt: »Schlaraffenland abgebrannt. Von der Angst vor einer neuen Zeit« und »Fremd«. Als 67 Jahre alte Deutsche, die geprägt ist von der Geschichte des 20. Jahrhunderts, verfolge ich mit Abscheu, wie in diesem Land wieder rechte Tendenzen um sich greifen.«