Der Profisegler Boris Herrmann über die Reiseerzählung »Reise mit dem Esel durch die Cévennen« des Schriftstellers Robert Louis Stevenson:
»Stevensons ›Reise‹ gilt als eine Art Pioniererzählung über raues, unbequemes Unterwegssein durch die Natur.«
Welches Buch hat Sie kürzlich richtig begeistert?
Ehrlich gesagt, komme ich nicht viel zum Lesen und schon gar nicht, wenn ich segelnd unterwegs bin. Immer warten allerdings mehrere Titel gleichzeitig darauf, dass ich dafür Zeit finde. Besonders interessiere ich mich für Abenteuer-Erzählungen, und daher empfehle ich hier auch ein eher unbekanntes Werk des großen schottischen Schriftstellers Robert Louis Stevenson (1850 bis 1894). Berühmt geworden ist er natürlich als Autor der »Schatzinsel« und der Gruselnovelle »Der seltsame Fall des Doktor Jekyll und Mr. Hyde«.
Mein Favorit aber ist ein Buch, das er lange zuvor geschrieben hat, es heißt »Reise mit dem Esel durch die Cévennen«. Darin berichtet Stevenson über seine zwölftägige Wanderung, 200 Kilometer weit unterwegs mit einem äußerst störrischen Esel durch das französische Zentralmassiv, eine herbe, auch heute noch kaum besiedelte Landschaft. Das weiß ich deshalb, weil ich Stevensons Trip nachgewandert bin. Stevensons »Reise« gilt als eine Art Pioniererzählung über raues, unbequemes Unterwegssein durch die Natur. Interessant auch, dass hier erstmals von einem Schlafsack die Rede ist, ein schweres, sperriges Ding, das Esel Modestine auf dem Rücken tragen muss. Von misstrauischen Einheimischen wurde Stevenson mehrmals für einen Hausierer gehalten, sie konnten sich auch nicht genug darüber wundern, dass ein Mensch freiwillig draußen übernachtete, schutzlos Räubern und Wölfen ausgeliefert. Stevensons Motto lautete: »Ich für meinen Teil, ich reise nicht, um irgendwohin zu fahren, sondern um zu reisen. (…) Die große Sache ist, sich zu bewegen.« Um unterwegs zu sein, um das Federbett der Zivilisation zu verlassen. Das ist sicherlich ein Gedanke, der ziemlich aktuell ist, und deshalb verschenke ich dieses Buch auch gern.
Und was lesen Sie sonst so?
Sehr früh habe ich schon Stefan Zweigs Buch »Magellan. Der Mann und seine Tat« über die erste historisch belegte Weltumsegelung des Portugiesen gelesen (1522). Es vermittelt eine Vorstellung davon, wie mutig dieser Mensch war, ohne zu wissen, ob die Erde tatsächlich rund ist. Auch »Der verschenkte Sieg« des Franzosen Bernhard Moitessier hat mich beeindruckt. Da ich keine Menschen kannte, die Hochseesegeln betrieben, waren Bücher wie diese ein entscheidender Anstoß für mich, damit zu beginnen. Inzwischen interessiere ich mich vor allem für die Frage, wie der Klimawandel und seine Konsequenzen bewältigt werden können. Daher möchte ich jetzt als Nächstes das neue Buch von Luisa Neubauer lesen: »Noch haben wir die Wahl«, ihr Gespräch mit Bernd Ulrich über Freiheit, Ökologie und den Konflikt der Generationen.
Boris Herrmann, Jahrgang 1981, ist der bekannteste deutsche Profi-Hochseesegler. Umfangreich wurde über ihn berichtet, als er im August 2019 auf seinem Schiff »Malizia II« Greta Thunberg über den Atlantik nach New York brachte. Dort trat Thunberg beim Klimagipfel der UN-Generalversammlung auf. Herrmann nahm als erster Deutscher an der prestigeträchtigen Einhandsegelregatta Vendée Globe 2020/21 teil und berichtete unterwegs laufend von den Herausforderungen, der Erschöpfung und der Einsamkeit dieser Weltumsegelung. Diese Reise hat dem Hochseesegelsport hierzulande eine völlig neue Popularität verschafft. Am Montag ist sein mit Andreas Wolfers zusammen verfasstes Buch »Allein zwischen Himmel und Meer« erschienen, in dem er von den dramatischen Momenten der Regatta erzählt – und auch davon, wie der Klimawandel die Ozeane verändert. Als nächstes Ziel steht Herrmanns Teilnahme an The Ocean Race 2022/23 an. Besonders lesenswert ist auch der Text über ihn in der ZEIT zu Beginn dieses Jahres.