
»Das Buch hat mich erst interessiert – und dann begeistert«
Das Buch von Kai Sina »Was gut ist und was böse. Thomas Mann als politischer Aktivist« hat mich erst interessiert – und dann begeistert. Vor allem, weil es dem gängigen Bild von Thomas Mann als ein dem Alltag entrückter Großschriftsteller schon im Titel zuwiderläuft, aber danach seine These glaubhaft ausarbeitet. So öffnet Sina den Raum für einen viel differenzierteren Blick auf diesen hochkomplexen Menschen.
Persönlich berührte mich daran, dass wohl jeder politisch tätige Mensch sich irgendwann einmal wie ein Rufer in der Wüste vorkommt, dessen überlegene Erkenntnis der Rest der Welt einfach nicht wahrnehmen will. Bei Mann ist dieser »Rufer in der Wüste« nicht nur metaphorisch, das ohnehin, sondern teilweise geradezu wörtlich zu nehmen, wenn man sich seine Vortragsreisen nach Arizona oder New Mexico vor Augen führt. Dort ist er als scharfer Gegner des Nationalsozialismus und als überzeugter Demokrat aufgetreten. Dass seine Verzweiflung angesichts des zivilisatorischen Absturzes seines Vaterlandes nicht zu Tatenlosigkeit führte, sondern ihn zu rastloser Aktivität trieb, zeigt, dass er genau jener politische Mensch war, den Kai Sina im Buch vorstellt.
Das Mann-Buch war eine Abwechslung von meinem sonstigen Leseprogramm, das zurzeit eindeutig russisch geprägt ist – aus aktuellen Gründen. Karl Schlögels epochales »Terror und Traum – Moskau 1937«, Orlando Figes‘ »Nataschas Tanz« und Simon Sebag Montefiores »Romanows« sind jedes für sich Standardwerke, großartig geschrieben und Wege zum Verständnis eines Landes, das im Guten wie im Schlechten europäische Geschichte prägt, bis heute. »Die Moskau-Connection« von Bingener und Wehner oder der »Sonderzug nach Moskau« von Bastian Scianna werfen mitunter wenig schmeichelhafte Schlaglichter auf die deutsche Russlandpolitik der letzten dreißig Jahre. Und dann natürlich die Klassiker, Tschechow, Tolstoi und immer wieder Bulgakow, am liebsten im Garten, auch wenn dort keine Kirschbäume stehen.
Alexander Graf Lambsdorff, Jahrgang 1966, hat derzeit einen der anspruchsvollsten Posten inne, die das Auswärtige Amt zu vergeben hat: Er ist deutscher Botschafter in Moskau, in eisigen Zeiten. 13 Jahre lang saß er für seine Partei, die FDP, im Europa-Parlament, unter anderem als Vizepräsident. Von 2017 bis 2023 war er Abgeordneter im Bundestag. Vor drei Jahren erschien sein Buch »Wenn Elefanten kämpfen. Deutschlands Rolle in den kalten Kriegen des 21. Jahrhunderts«.