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Die Juristin Anne Brorhilker über »Still. Die Kraft der Introvertierten« von Susan Cain: 

 

»In der aktuellen Situation, in der Debatten zunehmend aus­grenzend und abwertend ge­führt werden und Ängste um sich greifen, empfinde ich dieses Buch als besonders wohltuend.«

 

Welches Buch hat Sie kürzlich richtig begeistert? Worum geht es, ganz kurz?
Ich habe »Still. Die Kraft der Introvertierten« gelesen, von Susan Cain. Die Autorin, die an der Harvard Law School und der Princeton University studiert und danach jahrelang als Anwältin an der Wall-Street gearbeitet hat, ist selbst introvertiert und zeigt, wie sehr die westliche Gesellschaft am Ideal der Extra­vertiertheit aus­gerichtet ist und daher stille Menschen immer wieder unter­schätzt. Groß­artig finde ich, dass sie nicht beim Jammern stehen bleibt, sondern anhand persönlicher Erlebnisse, vieler historischer Persönlichkeiten und auf Grund­lage wissen­schaftlicher Forschung zeigt, welche Stärken Intro­vertierte in sich tragen und wie es ihnen gelingen kann, sich in einer lauten Welt durch­zusetzen. Das geschieht gerade nicht durch Anpassung an gesell­schaftliche Ideale, sondern durch Anerkennung des individuellen Temperaments. Susan Cain blickt dabei auf ver­schiedene Bereiche des Lebens – Schule und Ausbildung, Berufs- und Privat­leben – und will ein Bewusst­sein dafür schaffen, wie unter­schiedlich Menschen ticken können. Wenn es »dem Norden und dem Süden des Temperaments« gelingt, Verständnis füreinander auf­zubringen, dann können die jeweiligen Stärken Gruppen, Unternehmen und Gesellschaften enorm bereichern.

Mich selbst haben gerade die persönlichen Beispiele der Autorin aus ihrer Schulzeit, Ausbildung und ihrem späteren Berufs­leben als Juristin in einer Männer­welt angesprochen. Ich habe selbst ganz ähnliche Erfahrungen gemacht. Fasziniert haben mich aber auch die lebendig geschilderten Aus­schnitte aus dem Leben anderer intro­vertierter Persönlichkeiten, darunter Eleanor Roosevelt und Gandhi, die trotz ihres zurück­haltenden Wesens die ihnen am Herzen liegenden Ziele mit großer Leiden­schaft und Beharrlichkeit verfolgt haben.

 

Halten Sie dieses Buch für gerade besonders aktuell?
Absolut. Die Autorin argumentiert gegen den Trend vieler Selbst­vermarktungs-Ratgeber und zeigt, welch große Stärke in Eigenschaften wie Ernsthaftigkeit, Sensibilität und Autonomie liegen kann. Ich habe das Buch schon einmal vor Jahren gelesen und habe mich darin sehr wieder­gefunden. Es hat mir die Augen dafür geöffnet, mein intro­vertiertes Temperament nicht als Schwäche, sondern auch als Stärke zu betrachten.

Beim neuerlichen Lesen fiel mir daneben besonders positiv auf, dass die Autorin Extra­vertierte nie abwertet. Sie plädiert ausdrücklich dafür, dass die Gesellschaft gerade von Viel­falt profitiert. Ob im Großen – Politik, Unternehmen – oder im Kleinen, in der Schul­klasse, Familie oder Beziehung. In der aktuellen Situation, in der Debatten zunehmend aus­grenzend und abwertend geführt werden und Ängste um sich greifen, empfinde ich dieses Buch als besonders wohl­tuend. Durch die vielen anschaulichen Beispiele hilft es, Verständnis für Menschen aufzubringen, die anders ticken als man selbst. Und daran kann man gerne immer wieder erinnert werden.

 

Und was lesen Sie sonst so?
Gerne auch Krimis, insbesondere von Gisa Klönne. Neben den sehr atmosphärischen Schilderungen gefällt mir hier besonders, wie sie die jeweils spezifische Sicht­weise ihrer Figuren aufzeigt, so dass der Leser das Geschehen mal durch die Augen der einen, mal durch die Augen der anderen Figur erlebt.

 

Haben Sie einen Lieblingsort für Ihre Lektüre?
Eindeutig das Sofa, gerne mit Decke und einem Tee.

 

Die 1973 geborene Juristin Anne Brorhilker wurde bundes­weit bekannt, nachdem sie 2013 als Staats­anwältin begann, systematisch zum Cum-Ex-Steuer­betrug zu ermitteln. Erschwert wurden diese Ermittlungen durch fehlende Zusammen­arbeit mit anderen Behörden. 2021 stellte auch der Bundes­gerichtshof fest, dass es sich bei den Cum-Ex-Methoden um strafbare Steuer­hinter­ziehung handelte. Mehrere Verfahren gegen Angeklagte führten zu Schuld­sprüchen. Wegen ihrer Zweifel am politischen Willen zur Aufklärung des Steuer­skandals bat Brorhilker im vergangenen Jahr um Entlassung aus dem Justiz­dienst. Heute ist sie Co-Geschäfts­führerin der Bürger­bewegung Finanz­wende.

 

Still. Die Kraft der Introvertierten

Susan Cain (2012)

 

 

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