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Die Journalistin Annette Dittert über den Roman »Augustblau« von Deborah Levy:

 

»So vielschichtig flirrend, so jenseits aller üblichen Doppelgänger-Erzählungen«

 

Deborah Levy ist eine dieser leisen großen Figuren der britischen Literatur, die mich seit Langem fas­zi­niert. Die Sprache und die Bilder ihrer Romane klingen nach, set­zen sich fest und ver­ändern das eigene Erleben danach, wie das nur echte Poesie wirk­lich kann.

In »Augustblau« geht es um Elsa. Einst ein Pia­nis­ten-Wunder­kind, ist sie heute eine junge Frau, die bei der Auf­führung eines Klavier­konzerts auf der Bühne spek­ta­ku­lär ver­sagt hat und seit­dem auf der Suche nach sich selbst quer durch Europa reist.

Zu Beginn des Romans trifft sie in Paris auf eine Doppel­gängerin, die sich ihr als Alter Ego zunächst ent­zieht, ihr dann aber an anderen Orten doch plötz­lich wieder näher­kommt. Erst ganz am Ende des Romans löst sich auf, was Levy in dieser aller­ersten Szene ent­wirft, und wie sie das tut, ist so viel­schichtig flirrend, so jen­seits aller üb­lichen Doppel­gänger-Erzählungen, dass ich das Buch danach gleich wieder ein zweites Mal lesen musste.

Nur so viel sei ver­raten, im Zentrum steht die Beziehung Elsas zu ihrem Maestro, dem lang­jäh­ri­gen Klavier­lehrer, der sie »ge­macht« hat und aus dessen De­fi­ni­tion ihrer selbst sich Elsa schließ­lich lösen kann. Das ist das, was Deborah Levy am liebsten tut in ihren Romanen: Ihre fast immer weib­lichen Heldin­nen aus für sie vor­ge­fer­tig­ten Rollen­klischees be­freien. Zuletzt galt das auch für sie ganz per­sön­lich. In ihrer drei­teiligen »living autobiography« be­glei­tet sie sich selbst durch das Leben jen­seits der 50 und kommt dabei zu dem Schluss, dass Frauen, egal in welcher Lebens­phase, sich nie ent­sprechend der Rollen­ent­würfe ver­halten sollten, die andere für sie ent­wor­fen haben, »be­son­ders dann nicht, wenn diese anderen weniger Fantasie haben als man selbst«.

Vielleicht ist es das, was mich an Levy be­son­ders fas­zi­niert. Diese kreative Eigen­ständig­keit, die es ihr er­laubt, sich und ihre Hel­din­nen immer wieder neu und selbst zu er­finden. Deborah Levy, die als Kind aus Süd­afrika nach London kam, sich also schon früh in einer ihr zu­nächst fremden Kultur ein­fin­den musste, hat dabei nie diesen Blick einer Fremden ver­loren, die selbst banale Er­eig­nis­se immer wieder an­schaut und neu ent­deckt, als sehe sie die zum ersten Mal.

Eine Haltung, die mir als Aus­lands­kor­res­pon­den­tin natür­lich ver­traut ist. Die Art und Weise aber, wie Levy ihre immer leicht dis­tan­zier­te Pers­pek­tive in Bilder fasst, die ge­wisser­maßen in der eigenen Seele hängen bleiben, das ist etwas, was mich ganz be­son­ders berührt hat an diesem Buch. Ein umso größeres Kom­pli­ment, als ich in den letzten Jahren nur noch selten Romane ge­lesen habe. In diesen immer un­über­sicht­licheren Zeiten, in denen wir leben, schienen mir Sach­bücher die bessere Orien­tie­rung zu geben. Levys »Augustblau« hat mich jetzt eines Besseren belehrt.

 

Als vielseitige Do­ku­men­tar­filmerin wurde Annette Dittert mit der mehr­teiligen Dokumentar­film­reihe »Aben­teuer Glück« aus Indien, China und USA bekannt, für die sie gleich zwei Grimme-Preise er­hielt. Sie zählt zu den Auslands­kor­res­pon­den­tInnen, die ihr Berichts­ge­biet immer wieder über­raschend darstellen. Für ihre Bei­träge aus Warschau wurde die gebürtige Kölnerin mit dem Hanns-Joachim-Friedrichs-Preis aus­ge­zeich­net. Seit 2019 ist sie wieder in London tätig, ver­folg­te alle Ent­wick­lun­gen der Brexit-Politik. In Little Venice lebt sie auf einem charmanten, von ihr selbst ent­wor­fenen Haus­boot. Ihr Feature »Im Griff der Upper Class« (2024) schilderte Szenen aus dem britischen Klassen­system.

 

Augustblau

Deborah Levy (2023)

 

 

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