Die Schauspielerin Annette Frier über den Roman »Die Gleichzeitigkeit der Dinge« von Husch Josten:
»Ich bin begeistert.«
Was lesen Sie gerade, Frau Frier?
»Die Gleichzeitigkeit der Dinge« von Husch Josten (Berlin Verlag).
Es ist mein zweiter und diesmal gelungener Versuch.
Beim ersten, vor 4 Wochen, bin ich bis zum Ende des ersten Drittels gekommen. Ich besuche mit meiner Mutter ihren kleinen Bruder, der in einem Pflegeheim in Athen wohnt, ich komme am Abend im Hotel aus dem Badezimmer und freue mich schon, gleich den Faden der Geschichte wieder aufzunehmen, ich habe mich bereits in die drei Hauptfiguren Tessa, Sourie und Jean Tobelmann verknallt und bin sehr gespannt, wie’s weitergeht, und finde meine Mutter in das Buch vertieft vor. Ohne aufzuschauen, sagt sie: »Ich habe mein Buch zu Hause vergessen. Für dich okay, wenn ich noch ein paar Seiten lese?!« – »Kein Problem.«
Tagsüber das Faktische einer Pflegestation, der Anblick lauter ehemals vor Kraft strotzender, jetzt dementer, in der Außenbetrachtung zu großen Teilen hilfloser Menschen. Ich spüre die Traurigkeit meiner Mutter über das Leid ihres Bruders. Abends liest sie »mein« Buch, ich daddle Insta und News auf dem Handy, um mich abzulenken. In die Stille sagt meine Mutter: »Dieses Buch ist großartig. Es spricht mir aus der Seele. Genauso fühle ich mich gerade.«
Ich bin erleichtert über den Trost, den meine Mutter erfährt, wie sie den ersten Schock verdaut, indem sie sich einer ›prosaischen‹ Hausapotheke bedient.
»Schön für dich«, antworte ich bemüht süffisant, und wir müssen beide lachen, denn die Ironie des Titels »Die Gleichzeitigkeit der Dinge« ist wirklich zum Himmel schreiend.
Bei der Landung in Köln »hat« meine Mutter fertig mit meinem Buch, ich kriege es zurück und will sofort weiterlesen, versinke aber erst mal in Arbeit. Vier Wochen später kommt die Mail des ZEIT-Literaturnewsletters: »Was lesen Sie gerade, Frau Frier?« Die perfekte Erinnerung, meinen roten Faden von Seite 75 wieder aufzunehmen.
Ich bin immer noch überzeugt, in eine klassische Dreiecksgeschichte geraten zu sein: zwei Männer, verliebt in dieselbe Frau. Andererseits scheint es immer mehr eine originelle und zugleich sehr philosophische Betrachtung über das Thema Tod zu sein. Tessas und Souries »Projekt gegen Einsamkeit« im Pflegeheim halte ich nach wie vor für die Idee des Jahres. Aber je tiefer ich mich in die Geschichte wühle, desto stärker wird ein dunkler Sog, der mich auf den Grund des Geschriebenen zieht. Hier wartet ein Geheimnis, ein Abgrund, ein Rätsel, das den Tod selbst noch überschattet.
Sie ahnen es schon. Ich bin begeistert und muss hier unbedingt eine Empfehlung aussprechen. Husch Josten ist eine kluge Autorin mit feinstem Gespür für die kleinsten Dinge in dem riesigen Geschenk, das wir Leben nennen dürfen. Alles Weitere lesen Sie bitte selbst, sonst muss ich mir zu Recht den Vorwurf des Spoilerns von Ihnen anhören, und das ist ja bekanntlich eine neu entdeckte Todsünde! Ich wünsche eine frohe Vorweihnachtszeit, der besten, um »Die Gleichzeitigkeit der Dinge« von Husch Josten zu lesen.
Annette Frier spielt seit vielen Jahren Hauptrollen in diversen Fernseh- und Kinoprojekten und wurde dafür mehrfach ausgezeichnet – unter anderem mit dem Deutschen Fernsehpreis und dem Deutschen Comedypreis. Dabei zieht es die Schauspielerin auch immer wieder zurück auf die Theaterbühne, und sie wirkt als Sprecherin in zahlreichen Hörspielproduktionen mit. Im Herbst 2022 erschien die von ihr in Eigenregie geplante und umgesetzte Interview-Dokumentation »#undwarumbistduhier«. Besonders freuen wir uns auch auf den Kinofilm »Feste & Freunde – Ein Hoch auf uns!«, der ab Januar 2025 im Kino läuft und in dem Annette Frier eine Hauptrolle spielt.