Die Autorin Elli Kolb über den Roman »Mein Jahr im Wasser« von Jessica J. Lee:
»Das Buch erzählt von Entfremdung, Entwurzelung und Zerrissenheit.«
Wie bist du auf das Buch gekommen?
Ich lese sehr gerne Bücher über das (Draußen-)Schwimmen, und »Mein Jahr im Wasser« ist bei meinen Literatur-Recherchen immer wieder aufgetaucht (Wortspiel nicht beabsichtigt, wird aber mitgenommen).
Was macht das Buch für dich gerade jetzt aktuell?
Ich finde, eine Lektüre von »Mein Jahr im Wasser« lohnt sich gerade jetzt, weil es von Entfremdung, Entwurzelung und Zerrissenheit erzählt – und in einer bewegten Prosa Schwimmen in natürlichen Gewässern als Gegenmittel vorschlägt: als Annäherung an die Natur, Wieder-Annäherung an sich selbst und als Möglichkeit, sich, egal wo, ein Zuhause zu schaffen.
Als »Mein Jahr im Wasser« einsetzt, ist Jessica J. Lee (die hier autobiografisch schreibt) gerade nach Berlin gezogen – nach einer Jugend in Kanada und einem längeren Aufenthalt in England. Als Tochter eines Briten und einer Taiwanesin weiß sie schon früh, was es heißt, zwischen Kontinenten und Kulturen zu leben. In Berlin fühlt sie sich zunächst fremd und beschließt, sich im Laufe eines Jahres 52 Seen im Berliner Umland zu erschwimmen. Davon erzählt das Buch einer klaren, rhythmischen Sprache: wie sich das Schwimmen in Seen im Jahresverlauf ändert, welche Inseln der Schönheit man sich im Alltag schaffen kann – und was es bedeutet, sich im wörtlichen (und auch übertragenen) Sinn immer wieder in unbekannte Gewässer zu wagen.
Was bleibt nach dem Lesen?
Die unbedingte Lust, in das nächstgelegene Gewässer zu springen, und auch: ein neues Bewusstsein dafür, auf wie vielen Ebenen sich das Gefühl von Zuhausesein abspielen kann.
Wo liest du am liebsten und warum?
Eigentlich auch am liebsten da, wo Wasser ist – das ist in meiner Gegend entweder am Fluss oder in meiner Badewanne.
Und was liest du sonst so?
Ich lese wahnsinnig gerne Bücher, die unser Verhältnis zur Natur neu beleuchten, zum Beispiel von Helen Macdonald, deren »H wie Habicht« oder »Abendflüge« mit zu meinen Lieblingstexten gehören. Aber ich liebe auch Bücher, die ganz nah am Innenleben der Figuren dran sind. Zuletzt fand ich »Das Trio« von Johanna Hedman und »Weltalltage« von Paula Fürstenberg sehr toll.
Die Autorin Elli Kolb lebt in Fürth, in der Nähe eines Flusses. Wenn sie nicht gerade am Ufer dieses Flusses zu finden ist, schreibt sie den Blog understandingly.de, auf dem sie sich mit der Verbindung von Körper und Geist sowie mentaler Gesundheit beschäftigt. Besonders interessiert sie sich für das Potenzial von Kältebehandlungen bei der Behandlung von Depressionen. In ihrem Roman »9 Grad« geht es nicht nur um die heilende Kraft der Kälte, sondern auch um die Suche nach dem eigenen Selbst, Grenzerfahrungen und das Überwinden von inneren und äußeren Barrieren.