Bandmitglied und Creative Director von Deichkind Henning Besser über »Verletzlichkeit macht stark« von Brené Brown und »Tennis – Das innere Spiel« von W. Timothy Gallwey:
»Eine wichtige Inspiration für einen offenen Prozess«
Während der jeweils sechswöchigen Proben für unsere Bühnenshow anlässlich unserer letzten Tourneen begleiteten mich zwei zentrale Fragen, die ich hier mit Ihnen teilen möchte:
1. Was passiert, wenn wir versuchen, während der Proben miteinander verbunden zu sein, und wie genau kann es gelingen, sich in einer Gruppe von bis zu 35 so unterschiedlichen Menschen wirklich miteinander zu verbinden?
2. Was passiert, wenn wir uns von konkreten Zielen lossagen und darauf achten, einen gelingenden Proben-Prozess entstehen zu lassen, und vertrauen, dass daraus schon etwas Gutes entstehen wird? Etwas, das uns selbst und andere Menschen berührt.
Ich glaube, dass die aus diesen Fragen resultierenden Erfahrungen für viele Menschen und in vielen Lebensfeldern interessant sein könnten. Aus diesen Fragen entstand, was ich einen »offenen Prozess« nenne, und ich möchte Ihnen zwei Bücher ans Herz legen, die für mich eine wichtige Inspiration auf dem Weg dahin waren.
Als Regisseur der Bühnenshow schaue ich mir alle Konzerte mitten aus dem Publikum an, und als wir ab 2012 begannen, eine immer komplexere und ausgefeiltere Show nach dem Motto »Take That für Arme« zu entwickeln, bemerkte ich, dass es Konzerte gab, die tadellos ausgeführt waren; es gab keine groben Fehler; es stimmte objektiv eigentlich alles, und doch fehlte mir etwas, was wiederum manch anderes unserer Konzerte irgendwie magisch machte. Nach und nach zeigte sich mir, worin dieser Unterschied lag. Die Magie rührte daher, dass es uns gelang, während dieser besonderen Konzerte mit dem Publikum eine tiefe Verbindung einzugehen und nicht nur etwas Einstudiertes »fehlerfrei« aufzuführen. Eine Verbindung, die sogar mich erreichte, obwohl ich diese Show in- und auswendig kannte und vielleicht zum 70. Mal anschaute, immer auf der Suche, um mögliche Fehler oder Verbesserungsmöglichkeiten zu entdecken.
Welchen Film haben Sie 70-mal angeschaut?
Bis 2011 stand ich selber bei Deichkind als Action-Boy auf der Bühne und wusste noch genau, wie unterschiedlich jeder von uns ein und dasselbe Konzert empfunden hatte. Während es für den einen ein sensationeller Abend voller Adrenalinschübe gewesen war, erlebte jemand anderes ein schwer auszuhaltendes Konzert im innerlich abwesenden Profi-Automatik-Modus.
Ich entwickelte eine These:
Wenn alle unsere Performer*innen lernen würden, während eines Konzertes miteinander verbunden zu sein und zu bleiben, trotz der vielen einstudierten und zu merkenden Abläufe, trotz Lampenfiebers und des Drucks, vor vielen 10.000 Menschen auf einer Bühne zu stehen, würde es uns auch leichterfallen, mit dem Publikum eine Verbindung einzugehen.
Und jetzt frage ich Sie:
Wie würde sich Ihr Job anfühlen, wenn Sie eine wirkliche Verbindung zu allen Ihren Kolleg*innen haben würden und alle in der Firma darauf achten würden, dass diese Verbindung bestehen bleibt? Wenn Sie versuchen würden, mit Ihren Kunden eine wirkliche Verbindung einzugehen und Ihnen diese Verbindung auch noch Freude bereiten würde? Was würde passieren, wenn es keine Quartalsziele geben würde, sondern alle im Betrieb darauf achten, dass gelingende Arbeitstage entstehen, und wie könnte so einer aussehen? Was würden solche Firmen erzeugen? Wenn Sie mit Ihrer Familie zusammen am Esstisch sitzen, sind Sie dann wirklich mit Ihnen im Moment zusammen? Oder spielt jeder mit seinem Handy rum? Wie gelingt es einigen Sportler*innen auch unter dem Druck eines Wettkampfs, Spitzenleistung zu erbringen, während andere nur im Training gut spielen? Haben Sie Schwierigkeiten, Ihre Ziele zu erreichen? Ist Ihre Ehe vor dem Aus? Sprechen Sie ungern vor vielen Menschen oder leiden unter Prüfungsangst? Wie lernen Kinder? Wer zur Hölle ist Ted Lasso? Wie zum Kuckuck hängt das alles miteinander zusammen und was hat ausgerechnet Tennis mit meinem Leben zu tun?
Ich hoffe, Sie finden einige Antworten in:
Brené Brown – »Verletzlichkeit macht stark« und W. Timothy Gallwey – »Tennis – Das innere Spiel« (wahlweise auch Golf, Musik, Skifahren, Arbeit).
Henning Besser hat als DJ bei »Deichkind« angefangen. Mittlerweile ist er der Creative Director der Band, die unter anderem für ihre spektakulären Bühnenshows bekannt ist. Creative Director bedeutet in dem Fall: »Ich kümmere mich um alles außer die Musik und die Texte«, so erzählt es Deichkind-Mitglied Henning Besser im ZEIT Podcast »Frisch an die Arbeit« → Und weiter: »Deichkind ist heute ein konzeptkünstlerisches Projekt, dass im Gewand einer Popband daherkommt.« Wenn Sie noch auf der Suche nach einem Weihnachtsgeschenk sind oder sich selbst einen Eindruck von der Verbindung, über die Henning Besser schreibt, verschaffen möchten, empfiehlt sich eines der kommenden Konzerte.