
Der Autor und Kabarettist René Sydow über »Zettel’s Traum« von Arno Schmidt:
»Es ist sicher eines der größten Werke deutscher Sprache und gleichzeitig pure Angeberei.«
Das Buch in einem Satz
Zwei Paare treffen sich in der Heide und diskutieren über Edgar Allan Poe, auf 1.300 Seiten, in drei Spalten, in DIN A3 und niemals langweilig.
Das war als Beschreibung zwar arg hypotaktisch, aber kürzer geht’s nicht bei Schmidt. Es ist sicher eines der größten Werke deutscher Sprache und gleichzeitig pure Angeberei; zugleich eine siebenjährige Fleißarbeit und total leidenschaftliche Literatur.
Wie sind Sie auf das Buch gekommen?
Ich war immer schon Schmidt-Fan, und nachdem ich das Frühwerk schon vor längerer Zeit gelesen habe, erklimme ich nun den großen Berg: »Das Spätwerk«. Außerdem arbeite ich an einem Buch über Schmidt, und so kam ich wieder zu ihm zurück.
Was macht das Buch für Sie gerade jetzt aktuell?
Unserer Zeit, in der ständig über Sprache diskutiert wird – darüber, was man sagen darf und was nicht – stellt sich »Zettel’s Traum« entgegen und postuliert: »ICH SAGE EINFACH ALLES.« Schmidt zerlegte die Sprache und baute sie neu zusammen, erfand neue Wörter, bog Semantik und Grammatik. Sprachlich war Schmidt seiner Zeit sechzig Jahre voraus, deswegen liest sich sein Werk heute noch so modern, als wäre es gerade erst veröffentlicht.
Wen würden Sie vor dem Buch warnen und warum?
Leute, die das Buch im Zug lesen möchten. Zwölf Kilogramm Buch mit sich herumzuschleppen … da reicht ein Koffer nicht. Ich empfehle, es an einem Tisch oder auf dem Boden liegend zu genießen. Für den Zug gäbe es noch die Taschenbuch- oder Studienausgaben, die sind etwas leichtgewichtiger.
Was bleibt nach dem Lesen?
Ein angeregter Kopf und Lust zu schreiben.
Haben Sie beim Lesen des Buches etwas Neues (über sich) gelernt?
Das Staunen über seinen Mut, so rücksichtslos seinen eigenen literarischen Weg zu gehen.
Wenn Sie mit einem Charakter aus dem Buch tauschen könnten, welcher wäre das und warum?
Natürlich mit DÄN, bzw. Daniel Pagenstecher, diesem wunderbar versponnenen Universalgelehrten, der selbstverständlich ein Wiedergänger Schmidts ist.
Wo lesen Sie am liebsten und warum?
Überall. Im Zug, zu Hause, im Bett, auf der Couch, in der Badewanne und bei jedem Wartemoment.
Und was lesen Sie sonst so?
Vor allem amerikanische und deutsche Literatur, zeitlich vor allem 19. und 20. Jahrhundert. Dabei liegen mir meist die unbesungenen oder mittlerweile vergessenen Helden: Thomas Wolfe, Hildesheimer, Eich, Keun und – zeitgenössisch – der viel zu unbekannte, großartige Walle Sayer.
René Sydow ist Schriftsteller, Kabarettist, Schauspieler und Regisseur. Er ist bekannt für seine politischen Kabarettprogramme und seine Auftritte auf Poetry-Slam-Bühnen. Dabei verbindet er klassische politische Satire mit literarischen Texten. Seine Arbeit als Autor umfasst Romane, Lyrik und Prosa. Sein neuester Roman »Die große Sehnsucht« handelt von drei Freunden, die kurz vor dem Abitur stehen und ihre ersten Schritte ins Erwachsenenleben machen. Es geht um große Träume und die Neunzigerjahre.