
Der Schriftsteller Tom Hillenbrand über den Roman »Der dreizehnte Monat« von David Mitchell:
»Der vielleicht beste Coming-of-Age-Roman, den ich je gelesen habe — gleichzeitig tieftraurig und saukomisch«
Welches Buch hat Sie kürzlich richtig begeistert?
»Der dreizehnte Monat« von David Mitchell. Darin geht es um den dreizehnjährigen Jason Taylor, der in der kalten englischen Provinz des noch kälteren Thatcher-Großbritanniens aufwächst. Er stottert schrecklich, schreibt heimlich Gedichte und wird von beinahe allen Mitschülern an seiner Gesamtschule gemobbt. Trotzdem beißt er sich durch. Der vielleicht beste Coming-of-Age-Roman, den ich je gelesen habe — gleichzeitig tieftraurig und saukomisch.
Können Sie sich mit einer Figur aus dem Buch identifizieren? Oder haben Sie aus diesem Buch etwas Neues über sich gelernt?
Mit dem Protagonisten kann ich mich sehr gut identifizieren, und ich denke, das wird jeder tun können, der schon einmal gehänselt oder ausgegrenzt worden ist. Wenn man selbst Kinder hat, ist das Buch an vielen Stellen ein Aha-Erlebnis. Manches von dem, was die eigenen Kids erleben, versteht man nach der Lektüre viel besser.
Und was man aus David Mitchells Buch lernen kann, ist, dass man vielen unangenehmen und ungerechten Situationen nicht komplett aus dem Weg gehen kann. Man muss irgendwie versuchen, damit umzugehen und sich durchzukämpfen.
Halten Sie dieses Buch für gerade jetzt besonders aktuell?
Es spielt 1982, damals steckte Großbritannien mitten in der Wirtschaftskrise. Außerdem herrschte Krieg – der Falklandkrieg. Es gab im Land kein anderes Thema, gleichzeitig wirkte der Krieg seltsam weit weg. Und diese Gemengelage aus Krise und Krieg ist schon ein bisschen vergleichbar mit der heutigen Zeit. Spannend dabei auch, wie das alles bei Kindern ankommt, das wird sehr gut beschrieben.
Und was lesen Sie sonst so?
Für meine Recherche lese ich viele Sachbücher, zuletzt etwa das großartige »The Anarchy« von William Dalrymple über die Eroberung und Plünderung Indiens; derzeit bin ich bei »Move«, einem Buch über Migration des indisch-amerikanischen Politikwissenschaftlers und Publizisten Parag Khanna.
Mein letzter richtig dicker Roman war »Die Hyperion-Gesänge« von Dan Simmons. Das ist ein Science-Fiction-Epos, das seltsamerweise kaum jemand kennt – fast 3.000 Seiten, epischer als »Dune« und »Herr der Ringe« zusammen. Aber es lohnt sich.
Tom Hillenbrand, Jahrgang 1972, studierte Europapolitik und arbeitete zunächst als Journalist, unter anderem als Ressortleiter im »Spiegel«. Sein erster Roman »Teufelsfrucht: Ein kulinarischer Krimi«, auf Anhieb ein Bestseller, spielte in der Gastronomie. Es folgten vielfach ausgezeichnete Romane verschiedener Genres wie Krimis und Science-Fiction, darunter die sehr populäre »Hologrammatica«-Reihe. Im März erschien sein jüngster Zukunftsthriller »Thanatopia«, mit dem er auch auf Lesereise unterwegs ist.