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Die Journalistin und Autorin Brigitte Huber über den Roman »Die Unbehausten« von Barbara Kingsolver:

 

»Das hart­näckige Leugnen von Wissen­schaft er­innert schmerz­lich an heutige Debatten, etwa rund um den Klima­wandel.«

 

Das Buch in einem Satz
Vorsicht, Ein­sturz­gefahr – denn hier ist alles brüchig: Häuser, Gewiss­heiten, Lebens­ent­würfe.

 

Was macht das Buch für Sie gerade jetzt aktuell?
Amerika, 2016: In der Ge­schich­te der Jour­na­lis­tin Willa Knox, die gerade ihren Job verloren hat, zeich­net Kingsolver den drohenden Nieder­gang einer Mittel­schichts­familie nach: be­fris­te­te, schlecht be­zahlte Stellen an Unis (der Ehe­mann), durchs Studium über­schuldet vor dem ersten Arbeits­tag (der Sohn), dazu das Elend des US-Gesund­heits­systems (der schwer­kranke Schwieger­vater) – die Debatte um Letzteres poppte gerade jetzt im US-Haus­halts­streit wieder auf. Aktuell ist aber auch der Blick in die Ver­gan­gen­heit der 1860er-Jahre, in denen die zweite Hand­lungs­ebene spielt: Das hart­näckige Leug­nen von Wissen­schaft – Darwins Evo­lu­tions­theorie – er­in­nert schmerz­lich an heutige Debatten, etwa rund um den Klima­wandel.

 

Wen würden Sie vor dem Buch warnen und warum?
Das Buch wird nicht allen gefallen, zumal es 620 Seiten lang ist, aber warnen möchte ich niemanden.

 

Was bleibt nach dem Lesen?
Die äußerst leb­haften De­bat­ten am Küchen­tisch der Familie Knox, bei der Gene­ra­tio­nen auf­ein­ander­prallen, bleiben mir ebenso hängen wie viele Sätze, wort­ge­waltig und oft witzig: »Schöne Menschen be­haup­te­ten immer, gutes Aus­sehen sei un­wichtig, wäh­rend sie mit dieser Wäh­rung um sich warfen wie un­er­fah­re­ne Bank­räuber.« oder »Wie tief musste ein Mann sin­ken, dachte er, um eine Spinne zu beneiden.« Aber klar: Auch Be­klem­mung bleibt zurück – history repeats itself – und die Er­kennt­nis: Die Pola­ri­sie­rung der US-Gesell­schaft ließ sich seit Ent­stehen des Buches nicht auf­halten

 

Haben Sie beim Lesen des Buches etwas Neues (über sich) gelernt?
Ich habe zum Beispiel den Begriff »Ockhams Rasier­messer« ge­lernt. Heißt: Wenn es für irgend­etwas viele ver­schie­de­ne Er­klä­run­gen gibt, ent­scheide man sich für die ein­fachste. Über mich? Ich lerne immer wieder neu über mich, dass es mich be­geis­tert oder tröstet, wenn Menschen/Charak­tere in schwie­rigen Situa­tio­nen nicht auf­geben. Wie auch in diesem Buch

 

Wenn Sie mit einem Charakter aus dem Buch tauschen könnten, welcher wäre das und warum?
Mary Treat, die kluge Natur­wissen­schaft­le­rin aus dem 1860er-Hand­lungs­strang, hat mich be­ein­druckt (und übri­gens auch Charles Darwin, der mit ihr inten­siv korres­pon­diert hat – die Frau gab es wirk­lich, 1830 bis 1927). Sie hat nie studiert, sich all ihr Wissen selbst an­ge­eig­net und steckt für ein Expe­ri­ment gern mal eine paar Stunden den Finger in eine Venus­fliegen­falle. Ich würde gern mit dieser höchst eman­zi­pier­ten Frau in einer zu­tiefst pa­tri­archa­lisch ge­präg­ten Zeit tauschen, um ihren Blick und ihre Kraft­quellen kennen­zu­lernen – aber bitte nur für einen Tag.

 

Wo lesen Sie am liebsten und warum?
Auf dem Balkon: frische Luft und Blick ins Grüne. Die nächsten Monate aber auch sehr gern auf dem Sofa.

 

Und was lesen Sie sonst so?
Benjamin Wood, »Der Krabben­fischer«, »Hunde­sohn« von Ozan Zakariya Keskinkılıç und »Ver­binden statt spalten« von Gilda Sahebi.

 

Brigitte Huber ist Journa­listin und Autorin. Als lang­jährige Chef­re­dak­teu­rin war sie das Ge­sicht der »Brigitte«. Seit Jahren be­schäf­tigt sie sich mit gesell­schaft­lichen und per­sön­lichen Themen rund um das Älter­werden. So auch in ihrem neuesten Buch »Endlich Ich! Wie wir mit 60 an­fan­gen, unser bestes Leben zu leben«, das sie mit ihrer Jour­na­lis­tin­nen­kollegin Anne-Bärbel Köhle ge­schrie­ben hat. In einer Mischung aus per­sön­lichen Er­fah­run­gen, Recher­chen und ins­pi­rie­ren­den Ge­schich­ten laden die beiden dazu ein, das Älter­werden neu zu denken und wert­zu­schätzen. Eben­falls neu: Brigitte Hubers Pod­cast »Die Sache mit dem Älter­werden«, in dem sie gemein­sam mit Co-Host Stephan Seiler und span­nen­den Gästen über Lebens­freude, Ver­än­de­run­gen und das Los­lassen von Klischees spricht.

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