
Der Politikwissenschaftler Karl-Rudolf Korte über den Roman »Archiv der verlorenen Kinder« von Valeria Luiselli:
»Absolut beeindruckend laufen hier Alltagskatastrophen zusammen«
Welches Buch hat Sie kürzlich richtig begeistert?
Mich hat der Roman »Archiv der verlorenen Kinder« von Valeria Luiselli begeistert. Es ist die Geschichte einer New Yorker Patchworkfamilie, die nach Apachería reist, das Land, in dem einst die Apachen lebten. Auf diesem Roadtrip Richtung Süden begegnen sie Kindern aus Zentralamerika und Mexiko, die sich auf den entgegengesetzten Weg nach Norden gemacht haben, in die USA, wo ihre Eltern bereits leben. Eine entbehrungsreiche Tour in Zügen und offenen Frachtcontainern, in Begleitung eines Coyote, eines Mannes, den die Kinder fürchten. Der Bericht der Reise einerseits und das Thema Migration andererseits werden zu einem Roman aus verschiedenen Erzählperspektiven mit zahlreichen literarischen Referenzen verknüpft.
Ist dieses Buch Ihrer Meinung nach gerade jetzt aktuell oder aufschlussreich?
Ich nenne es angstfaszinierend aktuell: zwei Bewegungen, die einander treffen, familiäre und migrantische Überlebensstrategien. Die USA und die südlichen Nachbarstaaten werden hier so dargestellt, wie wir sie bislang nicht kannten.
Oder haben Sie aus dem Buch etwas Neues über sich gelernt?
Unbedingt – über Klangsucher, über Töne, die die Natur selbst komponiert; absolut beeindruckend laufen hier Alltagskatastrophen zusammen. Das ist extrem berührend und hat mich sehr lange darüber mit anderen Lesern diskutieren lassen.
Der Politikwissenschaftler Karl-Rudolf Korte ist einer der profiliertesten politischen Analysten in Deutschland. In Fernsehstudios, Podcasts und Redaktionen erklärt er auf verständliche Art komplexe Zusammenhänge über Wahlverhalten, Parteien und deren Strategien. Der kürzlich emeritierte Professor prägte unter anderem den Begriff »Brombeerkoalition« und verfasste ungezählte Aufsätze und Bücher zum Thema, zuletzt: »Wählermärkte. Wahlverhalten und Regierungspolitik in der Berliner Republik«.