Der Schriftsteller Christoph Hein über das historische Sachbuch »Die Hohenzollern und die Nazis. Geschichte einer Kollaboration« von Stephan Malinowski:
»Sein Buch über die Hohenzollern ist ein Lehrstück für alle Deutschen, nicht nur für Historiker.«
Malinowski schildert, wie die Mitglieder des Königs- und Kaiserhauses, die Träger unsterblicher Ideale und Prinzipien sein sollten und es für den überwiegenden Teil des Volkes noch immer waren, sich mit allen andern Feinden der Republik in einen von Heuchelei, Intrigen und Hinterhältigkeiten geprägten Kampf einlassen, um nach dem erfolgreichen Sturz der Republik an die Hebel der Macht zu gelangen. Wie der Stahlhelm und die NSDAP, Brüder mit gleichen Kappen, mit Desinformation, Gewalt und Mord sich gegenseitig auszustechen suchen. Wie der Kronprinz – während der deutsche Kaiser Wilhelm II., manisch-depressiv, in seinem Exil im Haus Doorn bei Utrecht täglich von früh bis abends Holz hackt und davon träumt, auf den deutschen Thron zurückzukehren – hinter dessen Rücken mit der NSDAP verhandelt und hofft, dass er und Hitler, der eine als Reichspräsident, der andere als Reichskanzler, zusammen der verachteten Republik die Macht entreißen. Und wie die Hohenzollern sich nach dem Krieg als Antifaschisten aufführten und bis heute um ihren Besitz, den Grundbesitz, die vielen Schlösser und Wälder streiten, obgleich sie als entscheidende Wegbereiter des Nationalsozialismus vielmehr einen rechtlichen Anspruch auf einen der Plätze der Nürnberger Anklagebank hatten, wo Kronprinz Wilhelm von Preußen tatsächlich vom stellvertretenden Chefankläger 1947 verhört wurde.
Stephan Malinowski beschreibt die Verwirrungen und Verbrechen, die zu Hitlers Machtergreifung führten, mit einer wunderbar klaren und schönen Sprache. Er ist ein Autor, der nicht im Korsett seiner Wissenschaft verblieben ist, sondern kulturell einen weiten Bogen schlägt. Sein Buch über die Hohenzollern – denen er beschließend attestiert: Dem Widerstand widerstanden – ist ein Lehrstück für alle Deutschen, nicht nur für Historiker.
Nach dieser Lektüre griff ich zum »Pedro Páramo« von Juan Rulfo. Jedes Jahr lese ich mir besonders wichtige, für mich geradezu heilige Bücher erneut und gewinne Jahr für Jahr neue Erkenntnisse. Ein nicht endendes Vergnügen. Lessing und Kleist gehören zu diesen Autoren (Kleist, der die schönste deutsche Prosa schrieb und eine wundervoll melodiöse Bühnensprache hatte), Flaubert und Camus, Dostojewski, Babel und Bulgakow und andere. Natürlich sind auch Lateinamerikaner darunter, an erster Stelle: Juan Rulfo. Rulfo hat nur ein sehr schmales Werk veröffentlicht, einen Erzählungsband »Der Llano in Flammen« und den Roman »Pedro Páramo«. Sein Werk ist für alle zeitgenössischen lateinamerikanischen Autoren von größter Bedeutung. Er ist gewissermaßen der Vater des magischen Realismus, bewundert und verehrt von García Márquez, Cortazar, Vargas Llosa. Für Spanien und Lateinamerika hat Rulfo eine Bedeutung wie in anderen Weltteilen ein James Joyce oder ein Franz Kafka.
»Pedro Páramo« ist ein realistischer Roman, der Ereignisse der mexikanischen Revolution verarbeitet, einer Revolution, in der Rulfo den Tod seiner Eltern erfahren muss. In dem Roman hat Juan Preciado auf Geheiß seiner Mutter seinen Vater zu suchen, doch die angeblich blühende Hazienda seines Vaters in Comala ist verwüstet und völlig entvölkert. Nur noch Tote trifft Juan an, die mit ihm sprechen, die ihn verwirren und ängstigen. Comala ist eine Geisterstadt und die Figuren und Handlungsstränge wechseln ständig und ergeben ein poetisches Mosaik, getragen von der für uns befremdlichen mexikanischen Kultur des Todes. Lange vor dem Macondo in Gabriel García Márquez’ »Hundert Jahre Einsamkeit« wurde Juan Rulfos Comala zum Ort des magischen Realismus.
Unter Autoren-Kollegen verschaffte sich Hein große Anerkennung, als er Ende der Neunzigerjahre den ostdeutschen PEN-Club mit dem westdeutschen zusammenführte. Heute ist der Ehrenpräsident der Schriftsteller-Vereinigung.