Die Staatsministerin für Kultur und Medien Claudia Roth über den Roman »Hund, Wolf, Schakal« von Behzahd Karim Khani:
»Diese an die eigene Lebensgeschichte von Khani angelehnte Erzählung geht unter die Haut. Mit einem Sound wie ein Rap-Song.«
Welches Buch hat Sie zuletzt richtig begeistert?
Gerade lese ich mit großer Begeisterung den Roman »Hund Wolf Schakal« von Behzahd Karim Khani. Die Hauptfigur des Romans, Saam, wurde in Teheran geboren, wo seine Mutter während der Revolution 1979 hingerichtet wurde. Mit seinem Vater, der ein Bein verloren hat, sowie seinem jüngeren Bruder flieht er in den Achtzigerjahren nach Deutschland. Dort wächst er mit seinem Bruder auf den Straßen von Neukölln in Berlin auf, wobei die beiden Geschwister dann sehr unterschiedliche Wege gehen: Ein Bruder schafft es auf das Gymnasium, der andere entwickelt sich zu einem brutalen Schläger.
Würden Sie das Buch für im weitesten Sinn aktuell halten? Was bleibt nach der Lektüre hängen?
Diese an die eigene Lebensgeschichte von Khani angelehnte Erzählung geht unter die Haut. Mit einem Sound wie ein Rap-Song. Der Roman von Khani zeigt, was es heißt, alles zu verlieren, alles zurücklassen zu müssen, einschließlich der eigenen Heimat – dabei gezeichnet von tiefen Narben aufgrund des dort Erlebten und Erlittenen. Plastisch wird erzählt, was es bedeutet, am Rande unserer Gesellschaft aufzuwachsen, sich durchzukämpfen, um sich in sehr unterschiedlichen Formen einen Platz zu schaffen, um respektiert zu werden, dazuzugehören und wenn möglich sogar anerkannt zu werden. Flucht- und Einwanderungsgeschichten, der Verlust der Heimat und ein Teil der eigenen Identität, der mühsame Kampf, vom Rande her zu einem Teil der Gesellschaft zu werden, daran teilhaben zu können, statt ausgeschlossen zu sein – das ist eine weitverbreitete Erfahrung in unserem Land. Eine Erfahrung, die übrigens noch keine ausreichende Rolle in der Erinnerungspolitik unserer Einwanderungsgesellschaft spielt.
Und was lesen Sie sonst so?
Vor Kurzem war ich wegen der Oscar-Verleihung in Los Angeles und habe dort die Villa Aurora, das Thomas-Mann-Haus wie auch das Haus, in dem Bertolt Brecht gelebt hat, besucht. Bei dieser Gelegenheit bin ich wieder tief eingetaucht in die Flucht- und Exilerfahrung deutscher Autorinnen und Autoren und Filmemacherinnen und Filmemacher, die aus Nazi-Deutschland fliehen mussten. Dort waren am 10. Mai vor 90 Jahren ihre Bücher verbrannt worden. Eben habe ich daher den wunderbaren Briefwechsel zwischen Marlene Dietrich und Erich Maria Remarque, die beide im Exil waren, wieder hervorgeholt: »Sag mir, dass Du mich liebst«. Remarque schreibt Dietrich romantische, vor Liebe und Sehnsucht schmachtende Briefe, auf die sie kurz und kühl mit Alltäglichem antwortet wie »Hast Du auch Deine Hühnersuppe gegessen?« Ein spektakulärer Brief-Liebesroman. Nach dem Besuch der Villa Aurora, wo Lion und Martha Feuchtwanger im Exil gelebt haben, und der Feuchtwanger Memorial Library will ich jetzt auch unbedingt Feuchtwanger wiederentdecken, etwa seinen Roman »Exil«.
Früher wurde Claudia Roths Politikstil häufig kritisiert als entweder zu emotional oder zu prinzipiell. Beides ist seltener zu hören, seit die studierte Theaterwissenschaftlerin effizient ihren Job als Staatsministerin für Kultur und Medien ausübt: Für Kultur in aller Vielfalt setzt sie sich ebenso ein wie für Menschenrechte und entwicklungspolitische Fragen.
In ihrem ersten Leben war sie viele Jahre lang als Dramaturgin und als Managerin der Band Ton Steine Scherben tätig. 1985 folgte der Wechsel in die Politik, als Abgeordnete der Grünen im Europa-Parlament, später als Fraktions- und Parteivorsitzende und von 2013 bis 2022 als Vizepräsidentin des Bundestags. Unter ihren vielen Mitgliedschaften weniger bekannt ist, dass die 69-Jährige zum Ritter der Französischen Ehrenlegion ernannt wurde und als Fußballbegeisterte Mitglied ist im Kuratorium der Kulturstiftung des DFB.