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Der Mentalist und Autor Timon Krause über den Roman »Das sternen­lose Meer« von Erin Morgenstern:

 

»Viel­schichtig, ver­schach­telt, in Teilen ver­wirrend«

 

Es gibt wenige Bücher, die ich zwei­mal lese, noch viel weniger, die ich regel­mäßig wieder aus meinem Bücher­regal hervor­zaubere. Erin Morgen­sterns »Das sternen­lose Meer« (»The Starless Sea« im Original) ge­hört zu letzterer Ka­te­go­rie. Wenn ich ganz ehr­lich bin, ge­hört dieser Roman sogar zur Ka­te­go­rie »ab­so­lu­tes Lieblings­buch, ver­mut­lich für immer«.
Nach­dem Morgen­stern uns bereits 2011 mit »Der Mitter­nachts­zirkus« (»The Night Circus«) ein Meister­werk präsen­tier­te, legt sie 2019 mit dieser Ge­schich­te über Ge­schich­ten (über Ge­schich­ten, über Geschichten …) nach.
»Das sternen­lose Meer« ist viel­schichtig, ver­schach­telt, in Teilen ver­wirrend. Mir gefällt das gut: Die Autorin spielt mit vagen Sym­bo­len, lässt Raum zum Zweifeln und Inter­pre­tie­ren. Statt eine strin­gen­te Er­zäh­lung an­zu­bieten, öff­net Morgen­stern uns viel­mehr ein kleines Fenster­chen in eine fan­tas­tisch ge­schrie­be­ne Welt. Wir sehen nicht alles, nicht mal den Groß­teil. Das, was wir aber beo­bach­ten dürfen, fas­zi­niert un­ge­mein: la­by­rinth­ar­ti­ge Bib­lio­theken, Seen voller Honig, farb­tropfende Türen zu ver­lo­re­nen Orten.
Klingt abstrakt? Ist es auch! Wer sich traut, auf »Das sternen­lose Meer« hinaus­zu­segeln, wird ge­zwun­gen, die Ge­scheh­nisse selbst zu deuten – oder, so wie ich, die bild­ge­wal­ti­ge Sprache ein­fach auf sich wirken zu lassen. Wann auch immer ich dieses Buch emp­fehle (was ge­fühlt täg­lich vor­kommt), komme ich nicht um die Worte »psycho­aktive Literatur« herum. Morgen­sterns Roman macht etwas mit uns, sofern wir uns der Ge­schich­te zu öff­nen wissen.
Eine Warnung sei aus­ge­sprochen: Wer tiefe Charak­te­re mit kom­plexer Ent­wick­lung sucht, ist hier falsch. Die Ge­schich­te selbst ist der Prota­go­nist dieses Romans. Erin Morgen­stern be­weist wieder ein­mal ihr unver­gleich­liches Talent, Orte zu Per­so­nen wer­den zu lassen. Das titel­ge­ben­de sternen­lose Meer ist dabei leben­di­ger und mensch­licher als manche Haupt­figur her­kömm­licher Romane. Nichts­desto­trotz gilt wohl: Lesende werden dieses Buch ent­weder lieben oder hassen – der Raum da­zwischen fehlt.
Seit Jahren sind Erin Morgen­sterns Werke eine schein­bar end­lose Quelle der Ins­pi­ra­tion für mich, sowohl beim Ent­werfen meiner Bühnen­shows als auch zu­letzt beim Schreiben meines eigenen Romans.
Während »Der Mitter­nachts­zirkus« großen Anklang im Main­stream ge­fun­den hat, ist »Das sternen­lose Meer« etwas nischiger ge­blieben. Eben des­halb möchte ich hier eine Lanze für mein Lieblings­buch brechen. Die Reise lohnt sich – ver­sprochen!

PS: Wer sich im Englischen wohl­fühlt, dem emp­feh­le ich, »Das sternen­lose Meer« im Original zu lesen. Wer lieber auf Deutsch liest, darf sich aller­dings auf eine sprach­lich mehr als würdige Über­setzung von Karin Will freuen.

 

Timon Krause ist Mentalist und Philosoph. Auf seiner Tour »Messias« präsen­tiert er seine Kunst des Gedanken­lesens und gibt Tipps in Sachen Massen­psycho­logie: Wie mani­pu­lier­bar sind wir und wie können wir uns davor schützen? Letzte Woche ist sein neues Buch »Sei deiner Zeit voraus – 13 Denk­prinzipien für die Welt von morgen« er­schienen. In einer Mischung aus Psycho­logie, Sozio­logie und Philo­sophie bietet Krause dort eine Navigations­hilfe durch turbu­lente Zeiten.

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