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Die Der Schauspieler und Synchronsprecher Rufus Beck über das Buch »Knife« von Salman Rushdie:

 

 

»Rushdie schreibt mit einer Offenheit, Verletzlichkeit, Sensibilität und, trotz des Themas, mit viel Humor und philosophischer Einsicht, die mich berührte und ja, mich über das Leben, das Überleben, das Lieben nachdenken ließ.«

 

Was mich bei meiner letzten Lektüre vollkommen in Bann gezogen hat, war das Buch von Salman Rushdie »Knife«. Ich habe mich erst einmal gewundert, dass das Buch nicht »The Knife« oder in der deutschen Übersetzung »Das Messer« oder einfach nur »Messer« heißt.
Das englische Wort »Knife« ist bedrohlicher, unheimlicher, es impliziert das Verb »Schneiden«, und ich denke, Rushdie geht es bei diesem einschneidenden, lakonischen Titel um diesen Riss, Cut, die Zäsur in seinem Leben.
Meine Freunde machen sich immer lustig über meine Buchempfehlungen, denn mit großer Wahrscheinlichkeit spoilere ich die Story, verrate die Höhepunkte und nehme das Ende einer Geschichte vorweg.
In diesem Fall kann ich nichts verraten, was nicht hinreichend bekannt wäre. Denn in »Knife« geht es um das Attentat am 12. August 2022 auf Salman Rushdie, bei dem der Autor lebensgefährlich verletzt wurde und unter anderem auf einem Auge erblindete, knapp überlebte und darüber schließlich ein Jahr später sein persönlichstes Buch schrieb.

Dieses biografische Werk ist ohne den Eklat, den die Veröffentlichung der »Satanischen Verse« von 1988 auslöste, nicht denkbar.
Ajatollah Chomeini erklärte am 14. Februar 1989, wegen angeblicher Gotteslästerung des Romans, Salman Rushdie mit einer Fatwa für vogelfrei. Jeder Muslim auf der Welt war legitimiert und aufgerufen, den Autor zu töten.

Ich kann mich noch gut daran erinnern, dass ich im Frühjahr 1989 das Buch las und den Einband entfernte, sodass man in der Öffentlichkeit nicht sofort sah, welches Buch ich da gerade in den Händen hielt. Der Titel war in diesen Tagen geradezu Dynamit. Denn der Aufruhr, nicht nur in der moslemischen Welt, sondern auch das absurde Verständnis mancher Kollegen in der westlichen Welt, für die Empfindlichkeiten religiöser Fundamentalisten, ließen mich etwas paranoid Vorsicht walten lassen.

Rushdie konnte dieser Todesdrohung 23 Jahre entgehen, bis schließlich doch noch ein Attentäter, letztlich erfolglos, ihn überfiel. Es geschah während einer Veranstaltung in den USA in Chautauqua am Eriesee, wo Rushdie eine Rede halten sollte, ausgerechnet zur »Gründung sicherer Orte in Amerika für Schriftstellerinnen und Schriftsteller aus fremden Ländern«.
Dazu kam es nicht, wie wir wissen. Rushdie verarbeitet dieses Trauma in seinem neuesten Buch, strukturiert es in zwei großen Teilen mit jeweils vier Kapiteln.

Obwohl ja die Handlung und der Hintergrund völlig klar sind, liest sich das Buch wie ein Krimi, es ist ein »Page Turner«, man wird hineingezogen in dieses Drama.
Denn Rushdie schreibt mit einer Offenheit, Verletzlichkeit, Sensibilität und, trotz des Themas, mit viel Humor und philosophischer Einsicht, die mich berührte und ja, mich über das Leben, das Überleben, das Lieben nachdenken ließ.
Der erste Satz aus den »Satanischen Versen« heißt: »Um wiedergeboren zu werden«, sang Gibril Farishta, während er vom Himmel stürzte, »musst du zuerst sterben.«

Rushdie beschreibt sein Leben vor, während und nach dem Attentat. Und wie er durch die Unterstützung seiner Frau Eliza, seiner Familie, seiner Freunde zurück in das Leben fand.
»Knife« ist auch eine Abhandlung über die Liebe. Ich habe wirklich einmal nachgezählt, wie oft das Wort Liebe in diesem Text vorkam. Weit über hundert Mal schreibt dieser Weltautor von der und über die Liebe, und ist es nicht letztendlich das, was uns am Leben hält, wie schon die Beatles texteten: »Love is all you need«.

Rushdie verwebt in einem wunderbaren Flow Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft, fabuliert trotz des schweren Themas mit einer großen schriftstellerischen Leichtigkeit, und mit Humor lässt er den Leser teilhaben an seinem Überlebenskampf.
Ohne die vielen Ärzte mit Namen zu nennen, hat er folgende Beschreibungen entsprechend ihrer Qualifikation für sie erfunden: »Dr. Auge, Dr. Hand, Dr. Stich, Dr. Schnitt, Dr. Leber, Dr. Zunge, Dr. Klammer«.
Selbst im Moment des Todeskampfes, als er in einen Helikopter gebracht und nach seinem Gewicht gefragt wurde, ist er von einer rührenden Schamhaftigkeit.

»Ich begann das Bewusstsein zu verlieren, aber ich verstand die an mich gerichtete Frage. Selbst in meiner fürchterlichen Verfassung war mir die Antwort peinlich. In den letzten Jahren war mein Gewicht geradezu explodiert … Jetzt also musste ich für jeden in Hörweite die beschämende Zahl bekannt geben.
Ich schaffte es, einzelne Silben auszustoßen. Eins. Zwei. Null.«

Ich kann so eine Absurdität ganz gut nachvollziehen. Als ich bei einem Flugunfall mit meinem Gleitschirm in allerletzter Sekunde meinen Rettungsfallschirm auslöste, hatte ich gedacht: »Oh, heute Abend ist Champions-League-Finale, die Bergwacht wird mich wohl erst nach dem Spiel finden und bergen.«

Großartig ist die Auseinandersetzung mit dem religiösen Fundamentalismus. Rushdie erfindet sich eine Begegnung, einen Dialog mit dem Möchtegern-Killer, den er im Buch nur »A« nennt, wie »Arschloch« oder »Attentäter«.
»Welche Namen ich ihm gebe, wenn ich allein zu Hause bin, geht nur mich etwas an.«
Es ist eine höchst lehrreiche Anleitung, wie man mit solch verirrten Seelen in ein Gespräch kommen könnte.

Vielsagend sind die vorausgehenden Kapitel dieses großartigen Werks: »Erster Teil. Der Engel des Todes« und »Der zweite Teil. Engel des Lebens«.

Mich hat dieser Text über die Maßen berührt, angeregt und nachdenklich gemacht. Ich kann dieses Buch nur jedem ans Herz legen, der sich vielleicht die Frage stellt: Was bleibt im Angesicht des Todes?
Ich zitiere noch einmal den Friedenspreisträger des Jahres 2023 Salman Rushdie: »Dieser Gedanke war schwer zu ertragen, dass ich unter Fremden starb, weit fort von den Menschen, die ich liebte. Mehr als alles andere fühlte ich eine tiefe Einsamkeit. Ich würde Eliza nie wiedersehen. Ich würde meine Söhne nie wiedersehen oder meine Schwester und deren Töchter.«

Wer erinnert sich nicht an seine »Waltraud« in »Der bewegte Mann«? Seither ist Rufus Beck, dieser Meister der Vielseitigkeit, einem Millionenpublikum präsent als Autor, Synchronsprecher, Schauspieler. Wikipedia meldet, er habe in mehr als 70 Film- und Fernsehproduktionen vor der Kamera gestanden, zuletzt etwa in »Der Kroatien-Krimi«.
Kein anderer ist denkbar als Vorleser der »Harry Potter«-Bände, und für das Rock-Fantasy-Musical »Tabaluga« war er mehrmals als Schauspieler, Autor und Regisseur tätig. »Der kleine Nick« ist unvorstellbar ohne ihn, und die legendäre Hörbuch-Produktion »Moby Dick« hat er als Ismael unvergesslich gemacht. Im Sommer ist Beck mit dem Programm »Norbert Glanzberg – eine Lebensgeschichte« zu erleben. Und ab Oktober bis Ende November 2024 ist er mit dem Theaterstück »Zwei Männer ganz nackt« auf Deutschland-Tournee.

 

Knife

Salman Rushdie (2024)

 

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