Der Schriftsteller Hanns-Josef Ortheil über die Prosatexte und Gedichte »Hier und dort & dort und hier« von Ron Padgett:
»Der Band ist voller ansteckend genauer Beobachtungen über die Besonderheiten der besuchten Länder und deshalb so einzigartig, weil Padgett auch anderen Lyrikern hinterherspürt.«
Von dem amerikanischen Lyriker Ron Padgett hatte ich vor einigen Jahren noch nie etwas gehört. Dann jedoch saß ich im Kino und schaute mir Jim Jarmuschs wunderbaren Film »Paterson« an. Es ist die Geschichte eines Busfahrers, der spontan glasklare Gedichte über seine Fahrten in ein Notizheft schreibt. Als der Abspann lief, erkannte ich, dass die Gedichte eigentlich von dem Lyriker Ron Padgett stammten. Wenig später erschien eine erste Sammlung auf Deutsch, übersetzt von Jan Röhnert. Es waren Gedichte über »Die schönsten Streichhölzer der Welt« und andere im Alltag gefundene poetische Signale. Ich wollte mehr über Ron Padgett wissen. Jetzt sind seine Reisetagebücher über Fahrten durch westeuropäische Länder (Frankreich, Italien, Finnland, Deutschland etc.) erschienen, und ich lese, wie Padgett früher einmal die Bekanntschaft des deutschen Lyrikers Rolf-Dieter Brinkmann gemacht und meine Heimatstadt Köln besucht hat. Der Band »Hier und dort & dort und hier« ist voller ansteckend genauer Beobachtungen über die Besonderheiten der besuchten Länder und deshalb so einzigartig, weil Padgett auch anderen Lyrikern hinterherspürt. Geradezu manisch ist er auf den Fährten von Gedichten und erkundet die Orte daraufhin, wo und warum sie Material für ein fremdes oder eigenes Gedicht anbieten. In Paris, London und Venedig wird Padgett besonders fündig und lässt sich als Wortartist so enthusiastisch treiben, dass ich ihn gern begleitet hätte. Dieses Buch beweist, dass Lyriker eine eigene, hochgradig emotionale Community bilden. Sie sind immer auf der Suche nach dem zündenden Worteinfall, nach Klang und Rhythmus. So bleiben sie ewig unerreichte Vorbilder für Prosaautoren, die sich höchstens an Reisetexten in lyrischer Prosa versuchen, ohne es jemals zu einem Gedicht mit Zeilen und Strophen zu bringen. Ach …
Hanns-Josef Ortheil ist nicht nur Schriftsteller, sondern auch noch Pianist und Professor für Kreatives Schreiben und Kulturjournalismus an der Universität Hildesheim. Er ist bekannt für seine einfühlsamen und oft autobiografisch geprägten Romane, in denen er Themen wie Familie, Kunst und persönliche Entwicklung behandelt. Zu seinen berühmtesten Werken gehören »Die Erfindung des Lebens« und »Das Kind, das nicht fragte«. Zuletzt von ihm erschienen: »Von nahen Dingen und Menschen«. In kurzen Erzählungen umkreist Hanns-Josef Ortheil dort das Zeitgeschehen der letzten fünf Jahre – von der agilen Kontaktfreude von Pinguinen bis zu aktuellen Kunsttrends. Von kleinen Beobachtungen bis zu großen philosophischen Fragen.