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Die Sängerin Lotte über den Roman »Löwen wecken« von Ayelet Gundar-Goshen:

»Nach dem Lesen bleiben Fragen. Viele Fragen. Wie hätte ich gehandelt? Was hätte ich getan? Warum tue ich, was ich tue? Und Faszination für die menschliche Psyche. Hier wird nicht nur mit Schwarz und Weiß gemalt, nicht nur in Gut und Böse, richtig und falsch unterschieden.«

 

Worum geht’s?
Etan Grien – glücklicher Ehemann, Vater zweier Kinder, Neurochirurg – überfährt nach einem langen, frustrierenden Arbeitstag einen »illegalen Einwanderer« und lässt ihn liegen. Am nächsten Tag steht die Frau des Opfers vor der Tür und zwingt ihn, verletzte Geflüchtete nachts in einer Auto­werkstatt medizinisch zu versorgen. Eine verstörende, aufreibende, ambivalente, komplexe Geschichte beginnt, die mich – als Leserin – am Schluss mit mehr Fragen als Antworten entlassen hat.

Wie sind Sie auf das Buch gekommen?
Ich habe »Löwen wecken« gerade erst weggelegt. Zwei meiner Freunde hatten es gelesen und davon geschwärmt.

Was macht das Buch für Sie gerade jetzt aktuell?
Zum einen hab ich großes Interesse an Psychologie – besonders in Zeiten wie diesen – und das ist für mich das Kernthema des Buches. Zum anderen leben wir nach wie vor in einer Welt, in der Flucht über das Mittelmeer, riesige menschen­unwürdige Auffanglager, miserable medizinische Versorgung und ein Leben wie ohne Menschen­rechte im Zusammenhang mit Flucht leider immer noch traurige Realität sind. »Löwen wecken« beleuchtet genau diese Problematik mit einem für mich bisher ungehört vielschichtigen Tiefgang.

Wen würden Sie vor dem Buch warnen und warum?
Ich finde es faszinierend, wie kreativ und frei Ayelet Gundar-Goshen mit Sprache umgeht. Allerdings hat genau das es mir anfangs schwer gemacht, in die Geschichte reinzufinden. Dieses Buch ist keins, das man mal eben durchliest. Man muss sich Zeit nehmen.

Was bleibt nach dem Lesen?
Nach dem Lesen bleiben Fragen. Viele Fragen. Wie hätte ich gehandelt? Was hätte ich getan? Warum tue ich, was ich tue? Und Faszination für die menschliche Psyche. Hier wird nicht nur mit Schwarz und Weiß gemalt, nicht nur in Gut und Böse, richtig und falsch unterschieden. Menschliche Entscheidungen sind so viel komplexer, vielleicht sogar vorherbestimmter, unfreier, als man sich eingestehen möchte.

Haben Sie beim Lesen des Buches etwas Neues (über sich) gelernt?
Nach dem Lesen hatte ich eher das Gefühl, dass ich weniger über mich weiß als zuvor. Ich weiß nicht, wie ich anstelle von einem der drei Haupt­charaktere gehandelt hätte. Es gibt so viele Fragmente, aus der Vergangenheit und Gegenwart, die mich zu der machen, die ich heute bin. Die meine Entscheidungen mitbestimmen. Und ganz viel davon passiert unterbewusst.

Wo lesen Sie am liebsten und warum?
Sobald mich ein Buch gefangen hat, lese ich immer und überall. Backstage, nach Konzerten im Hotelzimmer, im Zug, mit einem Kaffee in der Morgensonne. Mein Lieblingsort ist allerdings ein Café, wo ich während des Lesens aus dem Fenster schauen und das Berliner Treiben verfolgen kann. Dann kann ich in das Buch eintauchen, aber auch hin und wieder für ein paar Minuten den Blick schweifen lassen und über das Gelesene nachdenken.

Und was lesen Sie sonst so?
Meine absoluten All-time-Favourites sind immer noch »Der Alchimist« (Paulo Coelho) und »Siddharta« (Hermann Hesse). Hin und wieder lese ich auch Krimis, aber ich bevorzuge Bücher, die mich nach dem Lesen mit neuen Gedanken oder einem neuen Gefühl weiterziehen lassen.

Die Sängerin Lotte ​​– mit bürgerlichem Namen Charlotte Rezbach – hat gerade ihre neue Single »So wie ich« veröffentlicht. Ihr bisher persönlichstes Lied, in dem es um sexualisierte Gewalt geht. Auf ihrem Instagram-Account schreibt sie dazu: »Der Song verarbeitet einen Übergriff, den ich so erlebt habe. Aber ich bin damit nicht alleine, und gerade deshalb ist es wichtig, dieser Geschichte, all diesen oft ungehörten Geschichten eine Stimme zu geben.« Ihre große Reichweite nutzt die 26-Jährige, um Betroffenen Mut zu machen und aufzuklären. Im Früh­jahr wird sie in der neuen Staffel des Vox-Formats »Sing meinen Song« mitmachen. Darauf folgt ihr drittes Album. Wir freuen uns schon, noch mehr von ihr zu hören. 2022 könnte Lottes Jahr werden.

 

Löwen wecken

von Ayelet Gundar-Goshen (2015)

Ein Neurochirurg überfährt einen illegalen Einwanderer. Es gibt keine Zeugen, und der Mann wird ohnehin sterben – warum also die Karriere gefährden und den Unfall melden? Doch tags darauf steht die Frau des Opfers vor der Haustür des Arztes und macht ihm einen Vorschlag, der sein geordnetes Leben komplett aus der Bahn wirft. Wie hätte man selbst in einer solchen Situation gehandelt? Diese Frage schwebt über dem Roman, der die Grenzen zwischen Liebe und Hass, Schuld und Vergebung und Gut und Böse meisterhaft auslotet. Er wurde aus dem Hebräischen von Ruth Achlama übersetzt.
Die Autorin Ayelet Gundar-Goshen, Jahrgang 1982, gehört zu den profiliertesten Stimmen in der jungen israelischen Literatur und gewann zahlreiche Preise. Sie lebt mit ihrer Familie in Tel Aviv und arbeitet neben ihrer Tätigkeit als Schriftstellerin und Drehbuchautorin als Psychotherapeutin in einer Klinik. Im ZEIT-Interview spricht sie über die Beziehung zwischen Eltern und Kindern und was das eigene Selbstbild damit zu tun hat.

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