Die Schauspielerin Maren Kroymann über den Roman »Über die See« von Mariette Navarro:
»Das Buch fällt ganz toll zwischen alle Kategorien.«
Es ist die Geschichte einer Kapitänin und ihrer Crew, eine Geschichte über die Leidenschaft, zur See zu fahren. Eine relativ junge Frau führt als Kapitänin ein Schiff, es ist ihr Traumberuf – die Liebe dazu hat sie vom Vater geerbt. Kein häufiger Beruf für eine Frau, aber sie hat die Aufgaben total im Griff. Als die Crew den nie dagewesenen, geradezu irren Wunsch äußert, im Meer schwimmen zu gehen, gewährt sie ihn und stoppt das Schiff. Es liegt eine unausgesprochene Spannung über dem Ganzen. Als Einzige an Bord geblieben, zählt sie die schwimmende Besatzung und stellt fest, dass eine Person hinzugekommen ist. Sie findet nicht heraus, wer es ist, aber wagt nicht, das Ungeheuerliche zu benennen. Denn da ist die bohrende Frage: Ist es richtig, was ich hier mache, bin ich wirklich die Chefin, habe ich die Kontrolle?
Mariette Navarro beschreibt diese außergewöhnliche Atmosphäre sehr poetisch in feinsten Nuancen. Sie schildert die intensive psychologische Situation, in der eigentlich gar nichts passiert, ganz plastisch und sinnlich. Das Ganze hat eine Dimension des Unheimlichen, Bedrohlichen, ohne dass man das Buch als Thriller bezeichnen könnte. Es fällt ganz toll zwischen alle Kategorien. Und es ist eine wahnsinnig schöne Erzählung über das Leben auf dem Meer und im Wasser.
Handelt es sich um ein Buch, das Ihrer Meinung nach gerade jetzt aktuell ist?
Nicht tagesaktuell. Aber das fragile Gleichgewicht von Crew und Leitung, die Dynamik zwischen der einen und den vielen – da geht es um Fragen von Führung, Vertrauen, Autorität und Kontrollverlust – das finde ich sehr aktuell. Literatur muss ja keinen ganz aktuellen Realitätsbezug haben, um einen zu berühren oder gefangen zu nehmen, habe ich hier wieder mit Begeisterung festgestellt.
Können Sie sich mit einer Figur aus dem Buch identifizieren? Oder haben Sie aus diesem Buch etwas Neues über sich gelernt?
Natürlich mit der Kapitänin – das ist die Hauptrolle. Was bedeutet es, wenn man als Ausnahme oder als Erste eine Position bekleidet? Da ist die mutige Frau, die kraft ihrer fachlichen Kompetenz eigentlich alles im Griff hat und dann durch ganz andere Parameter ins Grübeln oder ins Straucheln gebracht wird. Das passiert, glaube ich, vielen Frauen in Führungspositionen in ganz unterschiedlicher Ausprägung.
Und was lesen Sie sonst so?
Das neue Buch von Didier Eribon »Eine Arbeiterin«, »Frankie« von Carson McCullers, »Pericallosa« von Evelyn Roll und Fran Lebowitz’ »New York und der Rest der Welt« liegen gerade auf meinem Nachttisch.
»Auf du und du mit dem Stöckelschuh«, so hieß das erste Bühnenprogramm der Kabarettistin, Schauspielerin und Sängerin Maren Kroymann. Von Anfang an ging es ihr darum, weibliche und männliche Rollenbilder und -fixierungen vorzuführen, zu analysieren und unbedingt auch zu ironisieren. Studiert hat sie Anglistik, Romanistik und Amerikanistik, und tauschte dann gerade noch die Schule gegen das Theater ein. Ziemlich schnell wurde sie einem größeren Fernsehpublikum bekannt durch die Serie »Oh Gott, Herr Pfarrer«.
Es folgten Filme und Serien wie »Nachtschwester Kroymann«, »Verfolgt«, »Mein Leben und ich«, »Klimawechsel«, »How To Sell Drugs Online (Fast)« oder »Enkel für Anfänger«. Seit 2017 feiert sie mit der ARD-Satire »Kroymann« Erfolge und wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, unter anderem 2023 mit dem Grimme-Ehrenpreis für ihr Lebenswerk und dem Dieter-Hildebrandt-Preis. Begründung: Sie sei eine Galionsfigur für Revolution, Emanzipation, Toleranz und demokratische Standhaftigkeit.