Die Schauspielerin Mechthild Grossmann über das histo­rische Sach­buch »Vom Zauber des Untergangs. Was Pompeji über uns erzählt« von Gabriel Zucht­riegel:

 

 

»Auf genaue, kluge Weise und nie lang­weilig er­klärt Zucht­riegel selbst Dinge, die man bereits zu kennen glaubt.« 

 

Als ich acht Jahre alt war, habe ich den Best­seller »Götter, Gräber und Gelehrte« ge­lesen, und seit­her hat mich Pompeji in­te­res­siert, die antike Handels- und Hafen­stadt. Ich war schon zweimal dort, werde bald wieder hin­fahren. An­ge­regt durch dieses wunder­bare Buch: »Vom Zauber des Unter­gangs. Was Pompeji über uns er­zählt.«
Voraus­schicken sollte ich viel­leicht, dass ich sehr selten Romane lese, und his­to­rische Romane schon gar nicht. Wenn ein Autor bei­spiels­weise schreibt, was Hein­rich VIII. angeb­lich abends zu Anne Boleyn ge­sagt habe, denke ich mir doch: Das kann der Autor nicht wissen, und deshalb in­te­res­siert es mich auch nicht.
Aber ich bin ein Bio­gra­fien­fresser. Ich habe zum Bei­spiel alles über Alexander den Großen ge­lesen. Kritische ebenso wie po­si­ti­ve Lebens­be­schrei­bun­gen, das ist in­te­res­sant in der Gegen­über­stel­lung.

Zurück zum »Zauber des Unter­gangs«. Der Titel ist genauso schön wie das Buch, das auch in Italien ein Best­seller ge­wor­den ist. Der Autor Gabriel Zucht­riegel, ein deutscher Archäo­loge, leitet die Aus­grabungs­stätte Pompeji. Auf genaue, kluge Weise und nie lang­weilig er­klärt Zucht­riegel selbst Dinge, die man be­reits zu kennen glaubt. Das hat mich be­geis­tert. Wenn er bei­spiels­weise ein Sklaven­zimmer be­schreibt: vier Betten auf sechs Quadrat­metern – ja, das ist wie heute, in be­stimmten Unter­künften. Diese Zimmer waren völlig schmuck­los, ein einziger Fleck an der Wand zeigt, dass eine kleine Öl­lampe dort ge­han­gen haben könnte. Bei der Be­rech­nung der Opfer der Ka­tas­trophe im Jahr 79 nach Christus hat man bis­her nie be­dacht, dass jeder Römer mindes­tens fünf Sklaven besaß. Wenn man die Sklaven mit­zählt, haben in Pompeji und Um­ge­bung laut Zucht­riegel wahr­schein­lich 45.000 Menschen gelebt.

Nach dem Vulkan­aus­bruch des Vesuvs mit dem ver­heeren­den Asche- und Bims­stein­regen im Herbst 79 n.Chr. hat sich eine Asche­schicht über die Stadt gelegt, sechs bis sieben Meter tief. Ge­gra­ben wurde dort schon immer, auch viel ge­stoh­len im 17. und 18. Jahr­hun­dert. Aber erst im 19. Jahr­hun­dert be­gann die plan­mäßi­ge Aus­gra­bung, und man legte frei, was in dem kurzen Moment der Ka­tas­trophe unter­ging. Man fand Häuser, Wand­gemäl­de, große Theater und immer wieder Hohl­räume. Man goss sie mit Gips aus. So ent­stan­den Ab­güsse von dort ge­stor­be­nen Menschen: etwa Mütter mit Kindern in den Armen, so genau, dass wir ihre Mimik, die Falten in ihren Ge­wän­dern er­ken­nen. Das ist gar nicht morbide, sondern wie ein Wunder und für mich mehr Drama, als ein Roman ent­halten kann – eine tiefere Di­men­sion.

Wo ich am liebsten lese? Wenn ich beruf­lich lese, Dreh­bücher und Ähn­liches, sitze ich meist am Schreib­tisch. Den Zucht­riegel habe ich sowohl am Schreib­tisch als auch im Bett ge­le­sen: In weniger als zwei Tagen hatte ich es durch, und ich habe genau ge­le­sen, immer wieder auch zurück­ge­blät­tert und die Bilder wahr­ge­nom­men. Es war ein Fest, das zu lesen!

Mechthild Grossmann ist eine viel gefragte Hör­buch­sprecherin, Film- und Theater­schau­spie­le­rin. Seit Jahr­zehn­ten zählt sie zu den mar­kan­tes­ten Stimmen auf deutschen Büh­nen. Auf ihren Sta­tio­nen in Bremen, Bochum, Frank­furt und anderen Büh­nen hat sie mit Regis­seu­ren wie Kurt Hübner und vielen anderen zusammen­ge­ar­beitet. In Wupper­tal traf sie auf Pina Bausch. Mit deren Tanz­en­semb­le ging sie viele Jahre lang auf Tournee. Seit 2002 ist Grossmann dem Fernseh­pub­li­kum be­kannt durch ihre Rolle als Staats­an­wäl­tin Wil­hel­mine Klemm an der Seite von Jan Josef Liefers im Müns­teraner »Tatort«. Im Hamburger St. Pauli Theater wird Mechthild Grossmann im Herbst wieder in Yasmine Rezas Stück »James Brown trug Locken­wickler« zu sehen sein.

 

Vom Zauber des Untergangs

Gabriel Zuchtriegel (2023)

 

WEITERE INFOS UND BESTELLEN

Jetzt zum Newsletter »Was wir lesen« anmelden

  • Persönliche Buchempfehlungen von Journalisten, Künstlerinnen, Politikern und Leserinnen und Lesern
  • Verlosungen der spannendsten Neuerscheinungen
  • Kostenlose Hörbücher und Leseproben
  • Einladungen zu exklusiven Veranstaltungen mit Autorinnen und Autoren
  • Jede Woche, kostenlos in Ihrem Postfach

Aktuelle Buchempfehlungen

Aus unserer Leserschaft