Die liberale Rabbinerin Elisa Klapheck über »David und Salomo. Archäologen entschlüsseln einen Mythos« von Israel Finkelstein und Neil Asher Silberman:
»Politische Theologie, die sich bemüht, die Integrität des Menschen zu stärken, ist gerade jetzt sehr aktuell.«
Sie gehen wahrscheinlich davon aus, dass ich viel lese. Aber das ist außerhalb meines beruflichen Lesens nicht der Fall. Gleichwohl gibt es Bücher, die mich beruflich begeistern – vor allem solche, die mich in meinem Beruf herausfordern. Erst vor Kurzem habe ich mich an die Bücher von Israel Finkelstein und Neil A. Silberman gewagt – den beiden Archäologen, die anhand der Ausgrabungen in Israel, Palästina und Jordanien nachweisen, dass die historischen Berichte in der Bibel nicht haltbar sind. Vor allem das Buch »David und Salomo. Archäologen entschlüsseln einen Mythos« zwingt jeden Theologen, jede Theologin, die eigene Einstellung zur Bibel zu überdenken. Den Autoren Finkelstein und Silberman zufolge hat es kein vereinigtes Königreich unter einem König Saul, einem König David oder einem König Salomon gegeben. Vielmehr würden in den Geschichten dieser biblischen Könige Jahrhunderte auseinanderliegende Epochen altisraelitischer Geschichte zu einem zusammenhängenden Mythos aufbereitet – und ihm damit erst ein tieferer, religiöser Sinn gegeben. Neulich hat mich ein Professor aus meinem früheren Politologie-Studium gefragt, wie ich als Rabbinerin damit umgehe. Meine Antwort: Ich bin begeistert. Ich brauche die Bibel nicht zu glauben – ich kann vielmehr gleich darangehen, sie zu verstehen, das heißt zu verstehen, wie die damaligen Autoren ihre Epoche in religiösen Botschaften verarbeiteten. Moshe Halberthal hat in »The Beginning of Politics. Power in the Biblical Book of Samuel« den Mythos David-Salomon zu einer politischen Theorie verarbeitet. Es ist das traurige Wissen, dass Macht eine notwendige Voraussetzung für Politik ist – aber dass sie immer ihren Preis hat. Wir verlieren die Unschuld und können nur hoffen, nicht auch unsere Integrität zu verlieren. Dafür ist dann die Religion zuständig.
Ob es ein aktuelles Buch ist? Ja – politische Theologie, die sich bemüht, die Integrität des Menschen zu stärken, ist gerade jetzt sehr aktuell.
Eher nicht empfehlen würde ich diese Lektüre denjenigen, die jetzt gerade keine Glaubenskrise brauchen. Man muss auch bereit sein, sich darauf einzulassen. Ich selbst brauchte auch den richtigen Moment für die Lektüre. Im Übrigen versuche ich beim Lesen immer thematisch vorzugehen. Derzeit will ich die jüngere Generation besser kennenlernen. Deshalb lese ich gerade von Emilia Roig »Why We Matter. Das Ende der Unterdrückung« und von Fränzi Kühne »Was Männer nie gefragt werden. Ich frage trotzdem mal«. Mich fasziniert, wie eine viel jüngere Generation von Frauen noch einmal kritisch ansetzt. Dekonstruktion und Intersektionalität sind ihre Methoden. Das heißt, sie machen uns klar, dass wir uns systemisch verhalten. Bei Emilia Roig wird klar: Auch wer persönlich nicht rassistisch ist, kann sich dennoch systemisch rassistisch verhalten (bisweilen sogar ungewollt). Und ebenso verstehen wir durch Fränzi Kühne, dass die gleichbleibende Männerlandschaft der Unternehmenseliten einer unbewussten Systematik folgt, die einige der Männer, die Kühne interviewte, selbst gar nicht mal gut finden. Was mich allerdings stört, ist, dass die jüngere Generation von Autorinnen zu wenig Interesse an den Vorgängerinnen hat. Die hatten auch schon ganz schön gekämpft, um das Gebiet freizumachen. Die Jüngeren tun so, als sei nichts geschehen, als würden erst sie die Diskriminierungen und Benachteiligungen thematisieren. Das stört mich sehr. Es findet ein eigenartiger Traditionsabbruch der Jüngeren statt, der auch in der Nicht-Kommunikation besteht. Deswegen unternehme ich eigene Initiativen, um auf meinem Gebiet die jüngere Generation kennenzulernen und den Austausch einzufordern.
Elisa Klapheck, geboren 1962, ist eine liberale Rabbinerin und Professorin für Jüdische Studien an der Universität Paderborn. Die promovierte Politologin arbeitete viele Jahre lang als Journalistin für den Berliner »Tagesspiegel« oder die »taz«. Seit den Neunzigerjahren engagiert sie sich für eine Erneuerung der jüdisch-religiösen Tradition, sie gehörte zu den Mitbegründerinnen der liberalen Synagoge Oranienburger Straße in Berlin. Auch in den Niederlanden war sie als Rabbinerin tätig. 2005 erschien ihr Buch »So bin ich Rabbinerin geworden. Jüdische Herausforderungen hier und jetzt«. Elisa Klapheck lebt in Frankfurt und liest nicht nur professionell und privat, sondern mitunter auch vor, nämlich ihrem Vater, dem 86-jährigen Künstler Konrad Klapheck, der als Klassiker der Nachkriegs-Avantgarde gilt.