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Der Schauspieler und Autor Heikko Deutschmann über den Roman »Durchsichtige Dinge« von Vladimir Nabokov:

»Er lässt seine Dämonen so vielstimmig und schön, so abgrundtief ironisch, auch gemein und dann wieder menschlich rufen, dass man sich nicht entziehen kann.«

 

Welches Buch hat Sie kürzlich richtig begeistert?
Ich möchte kürzlich in Klammern setzen, denn die letzthin begeisternden Bücher spannen einen weiten Bogen von Ronald D. Laing über Wolf Haas bis Colum McCann. Allesamt wären sie natürlich empfehlenswert, inspirierend und kurzweilig, eines heraus­zupicken ließe die anderen aber schlecht dastehen.

Es ist die verdammte Sache mit der Entscheidung. Kann man Begeisterung mit Begeisterung vergleichen? Ich tue mich schwer – und greife zu einem Buch:
Das ist ein schmaler Band, keine 150 Seiten lang, so durch­scheinend, heiter, verwirrend und hinter­fotzig, dass ich es bis heute nicht geschafft habe, ihn nach der Lektüre wegzulegen. Und ich versuche es schon seit 30 Jahren. Nach dem letzten kommt wieder der erste Satz. Aus einer Urlaubs­bekanntschaft wurde ein ständiger Begleiter, sein Autor mein bewunderter (und gar nicht so still beneideter) Held:
Der Autor ist Vladimir Nabokov, das Buch sein vorletzter Roman »Durchsichtige Dinge«.

Handelt es sich um ein Buch, das Ihrer Meinung nach gerade jetzt aktuell ist?
Die tragische Geschichte des überaus nichts­sagenden Protagonisten – Person genannt (immerhin mit einem hässlichen Vornamen: Hugh) – wird aus dem Jenseits erzählt. Und in der Tat ist der Roman so durchsichtig, dass die Sätze, die Motive und Perspektiven changieren, einem zwischen den Fingern zerrinnen. Auf jeder Seite öffnen sich neue Abgründe und Falltüren in unerwartete Seins­zustände: Für Nabokov scheint der Tod, das Jenseits, nur ein (anderer) Zustand des Bewusst­seins zu sein. Da muss man erst mal folgen wollen oder können.

Er lässt seine Dämonen aber so vielstimmig und schön, so abgrundtief ironisch, auch gemein und dann wieder menschlich rufen, dass man sich nicht entziehen kann. Es ist ein Buch über die Auflösung, über das Diffundieren in die Sinn­zusammenhänge, mit denen wir unsere Hilflosigkeit bemänteln: Liebe, Herkunft, Erinnerung, Schuld, Heimat.

Mit der Welt, die uns akut bedrängt, hat das vielleicht nur mittelbar zu tun. Obwohl auf 150 Seiten 16 Menschen sterben! Wenn ich in dem Buch aber spazieren gehe, dann ist es für mich immer aktuell. Wie gesagt, seit vielen Jahren und in allen Wandlungen.

Was bleibt nach der Lektüre hängen?
Gelächter (laut); verwirrte Angst oder ängstliche Verwirrung; Mitleid mit Hugh und Scham über das eigene Mittelmaß (heimlich); unendlicher Spaß (auch so ein Buch!) an der Fabulier­kunst; und natürlich Freude am letzten Satz: »Immer sachte voran, wissen Sie, dann wird’s schon werden, Söhnchen.«

Und was lesen Sie sonst so?
Siehe oben: Alles. Außer TV-Zeitschriften und Werbebeilagen (was im Kern ja das Gleiche ist).

An Heikko Deutschmann ist einiges ungewöhnlich – etwa der aus dem Finnischen stammende Vorname, der seinem österreichischen Vater einfach gut gefiel. Außerdem war Deutschmann einmal österreichischer Meister im Säbelfechten. Als Darsteller ist der Sechzig­jährige bekannt aus Fernseh- und Krimi­reihen wie Polizeiruf 110, jüngst in »Ein starkes Team« und viele Jahre lang als Tierarzt Philipp Hansen in der Serie »Tiere bis unters Dach«. Aber Deutschmann spielt nicht nur, sondern schreibt auch erfolgreich Dreh­bücher, Kurz­geschichten und Romane. Der von ihm als Drehbuch­autor, Regisseur und Produzent realisierte Kurz­film »Noch ein Seufzer und es wird Nacht« wurde mehrmals ausgezeichnet.
Darüber hinaus ist er als »leidenschaftlicher Vorleser« in zahlreichen preis­gekrönten Hörbüchern präsent, etwa in Jörg Fausers »Der Schneemann« und eben in dem vierteiligen Hörspiel »I Get a Bird«, nach dem gleichnamigen Roman von ihm und Anne von Canal, der im Mare Verlag erschienen ist.

 

Durchsichtige Dinge

von Vladimir Nabokov (1972)

Die verpfuschte und tragische Biografie eines New Yorker Verlags­lektors gipfelt in dem Mord an seiner Frau, gefolgt von einem Gefängnis- und Psychiatrie­aufenthalt. Die Geschichte wird weder von einem allwissenden Autor noch von einem fiktiven Zeugen erzählt, sondern von einem Chor von Toten, von Geistern, denen die Vergangenheit und Gegenwart bekannt, »durchsichtig« sind, nicht aber die Zukunft. Übersetzt wurde Vladimir Nabokovs Roman von Dieter E. Zimmer, der von 1959 bis 1999 als Redakteur für die ZEIT schrieb. Autor Vladimir Nabokov wurde in St. Petersburg geboren und wanderte infolge des Zweiten Welt­kriegs nach Amerika aus. Dort arbeitete er als Schmetterlings­forscher an der Harvard-Universität, bevor er sich dank des Welt­erfolgs seines Romans »Lolita« komplett auf das Schreiben konzentrieren konnte. Anlässlich Nabokovs Todes im Jahr 1977 schrieb Zimmer in der ZEIT einen Nach­ruf auf das Leben des Schriftstellers.

 

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