ZEIT-Reporter Henning Sußebach empfiehlt den Roman »Die Optimisten« der amerikanischen Schriftstellerin Rebecca Makkai:
»Es geht um Menschlichkeit unter unmenschlichen Umständen.«
Dieses Buch ist sehr dick, es umfasst 624 Seiten, was in diesen pandemischen Zeiten ein Segen sein kann. Denn wenn sie gut sind, geben einem dicke Bücher ja die Gelegenheit, die Gegenwart besonders lange zu verlassen und besonders tief in einer anderen Geschichte zu versinken. Bei den »Optimisten« von Rebecca Makkai trifft das nur halb zu, dafür auf bewegende Weise. Der Roman, der es auf die Shortlist des Pulitzer-Preises schaffte, hat zwei Zeitebenen. Die eine spielt 1985 in Chicago, in der Welt junger schwuler Männer, die es damals auch mit einer neuen Krankheit zu tun haben, mit Aids. In diesem Erzählstrang geht es, grausam-großartig erzählt, um Leichtsinn und Angst, um Abschiede und um das Sterben einer ganzen Generation von Söhnen, viele verstoßen und auch am Ende alleingelassen von ihren Eltern.
Der zweite Erzählstrang führt durchs Jetzt. Jemand von damals hat überlebt, eine Frau. Sie ist auf der Suche nach ihrer Tochter, die ihr zwischen dem Früher und dem Heute abhandenkam. Nun versucht diese Mutter, nachträglich einen Fehler zu korrigieren. Es geht also um Verluste und um das Wiederfinden. Um den Blick von Eltern auf ihre Kinder und den von Kindern auf ihre Eltern. Um Homo- und Heterosexuelle. Um das richtige Maß von Nähe und Distanz in Familien angesichts ansteckender Viren. Um Menschlichkeit unter unmenschlichen Umständen. Das klingt nach ziemlich viel und ist doch noch verkürzt gesagt – wie sollte es anders sein bei einem Roman von 624 Seiten? Die letzten 200 habe ich übrigens besonders langsam zu lesen versucht, weil ich mich nicht von lieb gewonnenen Figuren trennen wollte. Ich vermute, ähnlich ging es der Frau, einer Lehrerin, der ich auf Twitter folge und die dort dieses Buch empfahl. Jetzt empfehle ich es hier weiter, verbunden mit einer Bitte: Grüßen Sie Fiona und Yale von mir.
Henning Sußebach ist Reporter bei der ZEIT. Seine Arbeit wurde mit den bedeutendsten deutschen Journalistenpreisen ausgezeichnet. Vor allem schreibt er Reportagen. Meist aus dem Leben von Nichtpolitikern, Nichtfunktionären, Nichtentscheidungsträgern – »denn jeder Mensch hat eine Geschichte, in jeder Biografie spiegelt sich Weltgeschehen.« Und Henning schreibt auch selbst Bücher. Für »Deutschland ab vom Wege« hat er zuletzt die Straßen und die Städte verlassen und das Hinterland durchwandert.