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Die Spotlight-Chef­redakteurin Inez Sharp über den Roman »Vom Himmel die Sterne« von Jeanette Walls: 

»Jeannette Walls’ Roman über das Erwachsen­werden von Sallie Kincaid hat nicht nur ein rasantes Erzähl­tempo, er lässt einen auch ganz in Sallies Gedanken­welt ein­tauchen.«

 

Wer hat noch nicht davon geträumt, über ein eigenes kleines Reich zu gebieten, in dem man absolut herrscht und wo die Regeln und Re­strik­tio­nen der normalen Welt einfach mal aus­ge­setzt sind? In Jeanette Walls’ Roman »Vom Himmel die Sterne« führt Henry »Duke« Kincaid genau ein solches Mini-Imperium im Virginia der 1920er-Jahre. Im verarmten und hinter­wäld­lerischen Claiborne County sind alle Vor­schriften der Pro­hi­bi­tion außer Kraft gesetzt, Ver­brechen werden nach Dukes per­sön­lichem Er­messen be­straft, und wer in Geld­not ist, muss auf seine landes­väter­liche Gnade hoffen. Dann aber wird Sallie, Dukes rebellische Tochter, kurz vor ihrem 18. Geburts­tag nach langer Ver­ban­nung zur Familie zurück­be­ordert. Schnell erkennt sie die Schwächen und Wider­sprüche des väter­lichen Regimes. Weil sie jedoch ebenso im­pul­siv und durch­setz­ungs­stark ist wie ihr Vater, hat Sallies Heim­kunft töd­liche Kon­se­quen­zen. Zwischen Schießereien, illegalem Whisky­ver­kauf und Ver­fol­gungs­jagden versucht Sallie zu ver­stehen, wo Familien­loyalität sich mit Macht­miss­brauch ver­mischt und wo in diesen Ver­wir­run­gen ihr eigener Weg liegt.

So deut­lich Jeannette Walls’ Handlungs­führung atmos­phärisch von Arthur Penns Gangster­melodrama »Bonnie and Clyde« inspiriert ist – die his­to­rische Tiefen­struktur des Buchs ist eine ganz andere und sehr über­raschende. »Vom Himmel die Sterne« ent­puppt sich auf den zweiten Blick als ein kunst­voll und ironisch ins frühe zwanzigste Jahr­hundert ver­pflanztes »Remake« eines berühmten historischen Familien­kon­flikts aus der britischen Re­nais­sance: nämlich der Jugend­jahre der eng­lischen Königin Elizabeth I. (1522—1603), die nach ihrer Thron­be­steigung herrschen würde, als Shakespeare dichtete, Francis Bacon philo­so­phierte und Sir Walter Raleigh die Welt­meere ter­ro­ri­sier­te. Queen Elizabeths Bild kehrt in dem der Sallie wieder und in dem ihres tyrannischen Vaters der frühabsolutistische Re­nais­sance­herrscher Heinrich VIII. Man muss nicht das Leben der Tudors in England be­wun­dern oder über­haupt kennen, um »Vom Himmel die Sterne« zu genießen, aber diese historische Backstory gibt der Geschichte eine spannende Tiefen­di­men­sion.

Bücher, die man am liebsten in einem Zug durch­lesen würde, heißen im Englischen »unput­down­able« und es fällt tat­säch­lich schwer »Vom Himmel die Sterne« aus der Hand zu legen, wenn man einmal mit der Lektüre begonnen hat. Jeannette Walls’ Roman über das Erwachsen­werden von Sallie Kincaid hat nicht nur ein rasantes Erzähl­tempo, er lässt einen auch ganz in Sallies Gedanken­welt ein­tauchen. Das Ingenium, eine Geschichte ganz für sich sprechen zu lassen, das schon Walls’ auto­bio­gra­fischen Roman »Schloss aus Glas« zu einem Best­seller gemacht hat, ist auch in ihrem neuen Buch in vollen Zügen zu genießen.

 

Die Britin Inez Sharp ist Chef­redakteurin des englischen ZEIT Sprachen­magazins »Spotlight«. Mit ihrem Team veröffentlicht Inez dort fundiert recherchierte Artikel mit Ein­blicken in die englisch­sprachige Welt sowie Lern­hilfen. Und auch für alle Literatur­fans empfiehlt sich das Spotlight-Magazin: Regelmäßig finden Sie dort Buch­ent­deckungen für die unter­schied­lichen Sprach­niveaus. Zum Probe­lesen dürfen wir Ihnen die aktuelle Ausgabe hier schenken. Und wenn Sie mehr über Inez’ Buch­emp­feh­lung erfahren möchten, sollten Sie unbedingt am Samstag, dem 21. Oktober, auf der Frankfurter Buch­messe vorbei­schauen. Um 14 Uhr spricht sie dort mit der Schrift­stellerin Jeannette Walls über ihren Roman »Vom Himmel die Sterne«. Ein Mitschnitt des Gesprächs finden Sie im Nachgang hier →
 

Vom Himmel die Sterne

von Jeannette Walls (2023)

Der neue Roman von US-Autorin Jeannette Walls spielt zu Beginn des 20. Jahr­hunderts und handelt von der jungen Sallie, die nach einem schweren Unfall von ihrem Vater, dem mäch­tigs­ten Mann einer Klein­stadt in Virginia, verstoßen wird. Mit 17 Jahren kehrt sie zurück, ent­schlossen, sich ihren Platz in der Familie zurück­zu­erobern.
Jeanette Walls, geboren 1960, arbeitete über 20 Jahre als Journalistin in New York. Ihr internationaler Best­seller »Schloss aus Glas« wurde in 35 Sprachen über­setzt und 2017 mit Woody Harrelson und Naomi Watts in den Haupt­rollen verfilmt.

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