Die Dressurreiterin Isabell Werth über die politische Analyse »Zeitenwende. Putins Krieg und die Folgen« von dem ehemaligen deutschen Botschafter in Moskau Rüdiger von Fritsch:
»Spannend ist es für mich deshalb, weil es mir eine andere Sichtweise dafür vermittelt, wie Wladimir Putin tickt.«
Vorausschicken möchte ich, dass ich im Alltag viel zu selten zum Lesen komme. Zuletzt habe ich in einem – zugegeben recht kurzen – Urlaub mit einem Buch angefangen, das ich sehr spannend finde. Dieses Buch macht die Hintergründe und Zusammenhänge des Kriegs in der Ukraine greifbarer: »Zeitenwende. Putins Krieg und die Folgen«, verfasst von Rüdiger von Fritsch, dem ehemaligen deutschen Botschafter in Moskau.
Spannend ist es für mich deshalb, weil es mir eine andere Sichtweise dafür vermittelt, wie Wladimir Putin tickt. Irgendwie kann ja niemand – zumindest gilt das für mich – begreifen, wie es zu der gegenwärtigen Situation kommen konnte. Bis zum Kriegsbeginn habe ich jedenfalls nicht damit gerechnet und nicht ernsthaft geglaubt, dass russische Truppen in die Ukraine einmarschieren würden. Noch kurz vorher hielt man mögliche Ankündigungen für bloßes Säbelrasseln. Jetzt lese ich in »Zeitenwende«, dass der russische Botschafter in Berlin in einem Interview mit einer deutschen Zeitung gesagt hat: »Wir planen keine Offensive. Wir wollen keinen Krieg.« Dieses Interview wurde am 23. Februar noch auf der Website der Botschaft veröffentlicht. Was den möglichen Rückschluss zulässt, wie verborgen oder eben unkoordiniert alles vorbereitet wurde.
Einige Tage nach Beginn des Krieges kam ich mit einer russischen Reiterin, die einen Stall in der Nähe von Moskau betreibt, ins Gespräch. Sie schilderte den Sachverhalt ganz anders: Denn ihnen war offenbar gesagt worden, die Ukraine bereite einen Angriff auf Russland vor, und dem sei Russland nun zuvorgekommen – der Einmarsch diene der Verteidigung ihres Landes.
Das sind Dinge, die ich nicht für möglich gehalten hätte. Natürlich bin ich mir bewusst, dass es Propaganda und manipulierte Nachrichten gibt. Aber dass Menschen anscheinend einen derart eingeschränkten Informationszugang haben, konnte ich mir schlichtweg nicht vorstellen.
Im Zuge dieser Aktualität finde ich es sehr hilfreich, durch das Buch tiefere Einblicke nicht nur hinsichtlich des Krieges, sondern auch über dessen Vorgeschichte zu gewinnen. In den ersten Kapiteln von »Zeitenwende« geht es beispielsweise um das Eingreifen Russlands in Syrien und die Annexion der Krim. Auch das sollte man sich noch einmal vor Augen führen.
Was ich sonst so lese? Derzeit werfe ich einen Blick in verschiedene Fachbücher über die Reiterei, das wird Sie vielleicht überraschen. Aber die aktuelle Diskussion rund um die Themen Tierschutz und Pferdewohl beschäftigt den Reitsport mittlerweile sehr. Eine konkrete Frage dabei lautet: Sollen für die höchsten Prüfungen beim Dressurreiten künftig optional Kandare oder Trense erlaubt sein? Bislang ist in diesen Klassen nur die Kandare zulässig. Diese Zäumung dient in der höheren Ausbildung der gezielteren und feineren Einwirkung durch den Reiter. Am Ende des Tages geht es hier um den Erhalt der klassischen Reitausbildung und somit auch um ein Stück unserer Kultur.
Das ist die eine Grundsatzfrage, und die andere, die mich gerade umtreibt, dreht sich um das Stichwort »welfare of the horse«, das Wohlergehen des Pferdes. Wir Reiter tun alles, damit es unseren Pferden gut geht. Das ist selbstverständlich für uns, denn das Pferd ist unser Partner. Und nur wenn wahrgenommen wird, was wir im Sinne des Pferdewohls unternehmen, kann dazu auch eine konstruktive Diskussion geführt werden. Das gilt sowohl im Hinblick auf die Pferdehaltung als auch hinsichtlich des Regelwerks für den Reitsport. So vertiefe ich mich jetzt zum Beispiel in die Klassiker »Dressurreiten« von Richard Wätjen oder »Das DressurPferd« von Harry Boldt. Schließlich ist eine Auseinandersetzung mit der Geschichte der Reiterei – insbesondere in Bezug auf die zeitgemäße Weiterentwicklung unseres Sports – ausgesprochen wichtig.
Beim CHIO in Aachen im Juli dieses Jahres flossen Tränen, als sie mit »Bella Rose« zum letzten Mal die legendäre Dressurkür zeigte und das achtzehnjährige Ausnahmepferd damit in den sportlichen Ruhestand verabschiedete. Isabell Werth, die erfolgreichste Dressurreiterin der Welt mit 12 olympischen Medaillen, hat mit ihren Pferden immer Leistungen gezeigt, die im Gedächtnis haften bleiben: mit »Weihegold« in Rio de Janeiro ebenso wie mit dem unvergessenen »Gigolo«. Heute führt die 53-Jährige einen eigenen Turnier- und Ausbildungsstall am Niederrhein und gehörte zuletzt mit ihrem aktuellen Pferd »Quantaz« zur deutschen Dressurequipe bei den Weltmeisterschaften in Herning.