Der Schauspieler Johann von Bülow über den Roman »Das Ende von Eddy« des französischen Schriftstellers Édouard Louis:
»Mit großer sprachlicher Wucht hat er mich getroffen und verdeutlicht, wie sehr die Herkunft das Leben bestimmt.«
Der Roman fiel mir kürzlich in die Hände, als ich am Set in einer Drehpause ein paar Bücher durchsah, mit der die Requisite den Raum ausgestattet hatte.
Ich kannte das Buch »Rückkehr nach Reims« von Didier Eribon und wusste, dass Louis ein geistiger Weggefährte von Eribon ist. Beide beackern das gleiche Feld, soziale Ungleichheit und den schwierigen bis unmöglichen Weg heraus aus der eigenen benachteiligten Herkunft. »Das Ende von Eddy« ist die autobiographische Geschichte eines Jungen in der nordfranzösischen Provinz, die vom Kampf gegen sein homophobes Umfeld und vom Schicksal eines Lebens in Armut erzählt. Es geht um Klassismus, um eine grausame Kindheit, um die Selbstfindung eines jungen homosexuellen Mannes und darum, wie man sich mutig selbst befreit. Der Roman ist vor einigen Jahren erschienen, aber die Themen, die er behandelt, sind zeitlos. Mit großer sprachlicher Wucht hat er mich getroffen und verdeutlicht, wie sehr die Herkunft das Leben bestimmt. Die Beschreibungen seiner Eltern, Geschwister und Mitschüler sind bei aller Drastik ungeheuer respekt- und liebevoll, und die Zerbrechlichkeit des Ich-Erzählers ist dabei besonders bewegend.
Normalerweise lese ich keine Bücher, die ich an Drehorten finde, aber hier war die Requisiteurin so freundlich, mir das Exemplar nach Drehschluss kostenlos zu überlassen, wofür ich ihr sehr dankbar bin. Meistens kaufe ich nämlich meine Bücher, von denen ich viel zu viele anhäufe, oft mehrere gleichzeitig und manche auch nie zu Ende lese. Wenn mich aber ein Buch gefangen nimmt, dann bleibt der Eindruck davon länger haften als nach einem Film oder einer Serie. Bücher, bei denen ich auf so einen bleibenden Eindruck hoffe und die sich derzeit bei mir stapeln sind zum Beispiel »Crossroads«, der neue Jonathan Frantzen (dessen Buch »Freiheit« ich ebenso gut für diese Kolumne hätte auswählen können), die Autobiographie von Woody Allen »Ganz nebenbei« sowie ein kleiner Band mit Kurzgeschichten, von Anton Tschechow, aus dem sich möglicherweise das Programm für eine neue Lesung speist.
Der Schauspieler Johann von Bülow, Jahrgang 1972, war ursprünglich vor allem auf der Bühne zu erleben, unter anderem an den Theatern in Zürich, Leipzig und vor allem am Schauspielhaus Bochum. Die lange Liste seiner Kinofilme beginnt mit dem unvergessenen »Nach fünf im Urwald« (1995) mit Franka Potente, gefolgt von »Mein Blind Date mit dem Leben« (2017) oder dem internationalen Erfolg »Frantz« (2016) des französischen Regisseurs Francois Ozon. Fernsehzuschauer kennen Bülow dank seiner Rollen in verschiedenen »Tatort«-Folgen, aus dem Dreiteiler »Das Adlon« und der »Spiegel-Affäre«. Die Rolle als Bürgermeister von Hengasch in der Serie »Mord mit Aussicht« bescherte ihm besonders viele Fans. Derzeit ist er zu sehen in der ZDF-Serie »Furia« über eine europaweit vernetzte rechtsradikale Terrorzelle.