Der E.on- und Lufthansa-Aufsichtsratsvorsitzende Karl-Ludwig Kley über den Roman »Der Außenminister« von dem Schriftsteller Leo Lania:
»Wie es Lania gelingt, das Individuum dieses Außenministers zu charakterisieren und gleichzeitig die politische Zwangslage zu schildern, in der er sich befindet, ist meisterhaft.«
Begeistert hat mich soeben »Der Außenminister« von Leo Lania (1896–1961), dem vielseitigen Journalisten und Schriftsteller mit russisch-österreichischen Wurzeln. Erschienen ist »Der Außenminister« 1960, kurz vor Lanias Tod. Die Handlung ist schnell erzählt. Der Autor schildert die letzten zwölf Stunden im Leben des »Außenministers« während der endgültigen Stalinisierung der Tschechoslowakei im Jahr 1948. Die im Roman nie benannte Persönlichkeit ist Jan Masaryk, dessen Leiche an einem Morgen unterhalb eines Fensters des Außenministeriums gefunden wurde. Sein Tod wurde nie aufgeklärt.
Lania entwickelt in Erinnerungen, Gedanken und Begegnungen das Bild eines durch und durch liberalen bürgerlichen Politikers, eines Mannes, »der keine Kompromisse mit links oder rechts schließen will, der kein starker Mann ist, kein Fanatiker, sondern ein Zweifler«. Und dieser Mann ist durch das rücksichtslose Vorgehen und die taktischen Winkelzüge der tschechischen Stalinisten in eine fürchterliche Situation geraten: Er kann entweder – entgegen seiner Einstellung – in der Regierung verbleiben, somit zu ihrer Legitimierung beitragen, oder er kann in die Opposition gehen und damit sein Leben riskieren. Die letzte Alternative schließlich besteht darin, ins Ausland zu fliehen. Als er sich ganz gegen seine eigentliche Natur zum Kampf entschließt, findet sein Leben ein jähes Ende. Wie es Lania gelingt, das Individuum dieses Außenministers zu charakterisieren und gleichzeitig die politische Zwangslage zu schildern, in der er sich befindet, ist meisterhaft.
Der Roman schildert ein nicht zeitgebundenes Problem. Lania selbst sagte, es gehe ihm um »die Gestaltung der Tragödie eines Liberalen in unserer Zeit«. Das Buch zeigt, wie das, was wir heute bei uns unter Politik verstehen, schnell die Grenzen der Wirksamkeit erreicht, wenn andere Machthaber sich nicht an unsere Regeln halten. Es beschreibt, wie machtlos ein bürgerlicher Politiker in einem zunehmend autoritären System ist, wenn er im Ausland (gemeint sind im Buch die Westmächte) nicht die notwendige Rückendeckung erhält, und zwar nicht nur durch Worte, sondern auch mit Taten. Ich denke, jeder Leser wird sofort die Bezüge zur Gegenwart erkennen. Gute Literatur ist immer zeitlos und aktuell zugleich.
Darüber hinaus lese ich alles, was mir in die Hände kommt, durch Empfehlungen, Besprechungen oder Zufälle, und was mich interessiert. Zurzeit »Scale« von Geoffrey West, der Modelle zum Verständnis und der Beherrschung von Wachstum und Komplexität entwickelt. Davor »Das Landgut« von Isaac Singer, ein großartiger Roman über einen Epochenwechsel. Und danach wird wohl ein Buch von Bernd Beyer über den Fußball drankommen: »71/72 – Die Saison der Träumer«. Als Anhänger des 1. FC Köln muss man ab und zu auch etwas für die Seele tun.
Das »Handelsblatt« bescheinigt Karl-Ludwig Kley, auch turbulente Hauptversammlungen intelligent zu steuern, und nennt ihn »Deutschlands mächtigsten Aufsichtsratschef«. Dazu zählen die Kontrollgremien von BMW, Eon und der Lufthansa. Dort war Karl-Ludwig Kley bis 2006 Finanzvorstand, jetzt stand er als Aufsichtsratschef im Feuer, als die Fluggesellschaft in der Corona-Krise Staatshilfe in Anspruch nehmen musste. Bis 2016 leitete der Jurist das Darmstädter Chemie- und Pharma-Unternehmen Merck. Kürzlich schrieb Kley ein Buch zusammen mit seinem Freund, dem CDU-Politiker Thomas de Maizière, über »Die Kunst guten Führens. Macht in Wirtschaft und Politik«. Er ist 70 Jahre alt, lebt in Köln und ist bekannt dafür, unfassbar viel zu lesen.