Die Autorin Katja Lewina über den Roman »Dr. Sex« von T. C. Boyle:
»Den Boyle habe ich bei meinem Bruder auf dem Couchtisch gefunden, vorher hatte ich noch nie etwas von ihm gelesen. Ein Fehler, wie ich jetzt weiß!«
Im Bett, beim Essen, auf dem Klo: Ich lese ständig. Für die Arbeit sind das vor allem Sachbücher, aber eigentlich stehe ich auf Romane, die ich, kaum sind sie ausgelesen, schnell wieder vergesse. Doch an »Dr. Sex« von T. C. Boyle denke ich auch jetzt, einige Monate nach der Lektüre, immer wieder noch.
Den Boyle habe ich bei meinem Bruder auf dem Couchtisch gefunden, vorher hatte ich noch nie etwas von ihm gelesen. Ein Fehler, wie ich jetzt weiß! In »Dr. Sex« nimmt er uns mit in das Amerika der 1940er, in dem der berühmte Dr. Kinsey seine Sexforschung gegen allen Widerstand betrieb, und lässt uns dort an den persönlichen Krisen und Widerständen der Figuren teilhaben. Teil von Dr. Kinseys Entourage zu sein ist nämlich alles andere als easy: Nach außen hin erfordert es unbedingte Anpassung an die Prüderie der damaligen Zeit, gleichzeitig macht es der Biologe für seine Angestellten und deren Frauen zur Bedingung, dass sie ihre Sozialisierung hinter sich lassen und im Namen der Forschung alle miteinander sexuell aktiv werden. Konfliktpotential, here we go!
Damals sprach man nicht über Sex, er existierte quasi nicht. Kinsey war der Erste, der ihn in allen Facetten mit seinen Büchern normalisierte. Deswegen hallt seine Figur in mir auch noch so lange nach: Auch wenn er teils problematische Ansichten vertritt, inspiriert mich der unbedingte Wille, mit der er sein Ziel verfolgt. Dass ein einzelner Mensch enorme gesellschaftliche Veränderungen anstoßen kann, finde ich wahnsinnig ermutigend.
»Sie hat Bock«, »Bock. Männer und Sex« und »Ex«. So lauten die Titel ihrer Bücher, die schon ahnen lassen, dass Katja Lewina kein Blatt vor den Mund nimmt. Die Berliner Autorin, die auch schon einige Texte auf ZEIT ONLINE veröffentlicht hat, schreibt über Ungleichheit beim Sex, Begehren und ihre eigenen Beziehungen. Dabei werden ihre Bücher oft als Manifest für sexuelle Selbstbestimmung verstanden. Für ihr neuestes Buch »Ex« hat sie die die zehn wichtigsten Männer ihres Lebens getroffen und mit ihnen in alten Erinnerungen gewühlt. Dabei entdeckte sie psychologische Muster, die viel mit ihr selbst, aber auch mit unserer Gesellschaft zu tun haben.