Die ZEIT-Redakteurin und Kinderbuchexpertin Katrin Hörnlein über den Jugendroman »Krummer Hund« von der Autorin Juliane Pickel:
»Pickel erzählt ganz nah an ihrem jugendlichen Helden, und sie bricht die erdrückende Schwere mit geradezu filmreifen Dialogen, wohldosiertem Humor und findet überraschende Bilder.«
Manche Romane entfalten schon im ersten Satz eine solche Wucht, dass man sich bei aller Begeisterung ein wenig besorgt fragt: Wie will die Autorin, der Autor diese Kraft nur über das gesamte Buch aufrechterhalten? In ihrem Debüt »Krummer Hund« gelingt der Hamburger Autorin Juliane Pickel beides – nach einer sensationellen Eröffnung sackt die Geschichte nach hinten raus nicht das kleinste bisschen ab. Und so geht es los: »Nachdem er meinen Hund umgebracht hat, fragt der Typ meine Mutter, ob sie am Abend mit ihm Sushi essen geht.« Der Typ ist der Tierarzt, der soeben den Hund des 15-jährigen Erzählers Daniel eingeschläfert hat. Und während die Mutter noch mit dem »Hundemörder« flirtet, zerkratzt Daniel mit einem Schlüssel dessen teuren Sportwagen.
Daniel ist ein sehr einsamer 15-Jähriger – der Vater hat die Familie sitzen lassen, die Mutter sucht seither Halt in wechselnden Affären – und ein sehr wütender Teenager. Daniel tritt Fahrräder und Zigarettenautomaten kaputt, greift Tiere und Menschen an. Nun kommt also wieder ein neuer Mann ins Haus, der nächste Erwachsene, der nur mit sich selbst beschäftigt ist. So lief es bisher immer, doch mit dem „Hundemörder“ ist es irgendwie anders. Oder doch nicht? Denn als Daniel gerade Zutrauen fasst, wird der Bruder einer Mitschülerin überfahren. Der Täter ist abgehauen, er soll einen teuren Sportwagen fahren. Bringt der Doc nicht bloß Hunde, sondern auch Menschen um?
Juliane Pickel hat ihre rund 250 Seiten kompakt konstruiert. Die verschiedenen Themen kreisen alle ums Verlorensein, keine Figur ist ohne Makel und doch unglaublich einfühlsam gezeichnet. Pickel erzählt ganz nah an ihrem jugendlichen Helden, und sie bricht die erdrückende Schwere mit geradezu filmreifen Dialogen, wohldosiertem Humor und findet überraschende Bilder. Pickel feilt lange an ihren Texten, überarbeitet sie wieder und wieder, und sie sucht nicht nach schlichten, eindeutigen Antworten, sondern interessiert sich für die Gegensätze und Widersprüche. »Krummer Hund« ist sicherlich keine Wohlfühllektüre, sondern ein Buch, das seine Leserinnen und Leser fordert – aber eben auch eine unglaubliche Kraft entfaltet. Bis zum letzten Satz: »Meine Fresse denke ich, während mir die Tränen übers Gesicht laufen. Was für ein Freak.« Wie sich die Ambivalenz als Leitmotiv durch diesen Roman zieht, so bleibt auch der Schluss offen – hoffnungsvoll offen, so viel sei verraten.
Die Redakteurin Katrin Hörnlein ist seit über dreizehn Jahren bei der ZEIT und ist bei uns die Expertin für Kinder- und Jugendliteratur. In dieser Funktion hat sie für uns schon den einen oder anderen (Buch-)Schatz gehoben. Sie ist Herausgeberin des ZEIT LEO-Magazins und redaktionell für die jungen Seiten bei uns im Blatt verantwortlich. Sie ist die Jury-Vorsitzende des LUCHS-Preises für Kinder- und Jugendliteratur, den die ZEIT jeden Monat zusammen mit Radio Bremen vergibt. Einen Mitschnitt der Preisverleihung am vergangenen Freitag finden Sie hier.