ZEIT:Hamburg-Ressortleiter Kilian Trotier über »Die Brüder Karamasow« von Fjodor Dostojewski:
»Wer sich inspirieren und überfordern lassen will beim Sinnieren über den Sinn des Lebens und die Existenz Gottes, der lese dieses Buch.«
Als ich Student war, habe ich das Buch zum ersten Mal gelesen. Ich konnte es nicht fassen. Wie irre klug, irre emotional, irre tiefgründig kann ein Mensch denken? Vordergründig geht es in den Brüdern Karamasow um einen Vatermord und dessen Aufklärung. Eigentlich aber lotet diese Erzählung alles Menschliche aus, wirklich alles, bis in den hintersten Winkel. Der jüngste Bruder Aljoscha ist das reinste und herzensbeste Wesen, das die Literatur erfunden hat. Er ist nicht ohne Grund ein Mönch, dem Heiland Jesus nachempfunden. Seine Brüder sind ganz anders, raufsüchtig, streitsüchtig, wie der Vater. Der Wesenskern des Werkes sind nicht die Handlungen, sondern die Gedanken. Wer sich inspirieren und überfordern lassen will beim Sinnieren über den Sinn des Lebens und die Existenz Gottes, der lese dieses Buch. Ich habe es ein zweites Mal getan – in diesem besonderen Jahr. Es hat mich genauso elektrisiert wie beim ersten Mal. Was gibt es Verrückteres und Genialeres, als sich in einer Geschichte innerhalb des Romans auszudenken, dass Jesus im 16. Jahrhundert auf der Erde erscheint, der Großinquisitor der katholischen Kirche ihn festnimmt und ihm in einem langen Monolog erklärt, warum er verschwinden und nie wiederkommen solle? Kein Buch außer der Bibel hat mich so gefesselt wie dieses. Ich werde es wieder lesen. Da bin ich mir sicher.
Kilian Trotier leitet das Hamburg-Ressort der ZEIT und macht alles, was mit Sport und Kultur zu tun hat. Vorher war er Redakteur im ZEIT-Feuilleton und machte alles, was mit Internet zu tun hat. Er interessiert sich für Sport, Kultur und Internet.