SPD-Chef Lars Klingbeil über die Analyse »Die Fehlbaren« von Helene Bubrowski:
»Beim Lesen habe ich über meinen Umgang mit Fehlentscheidungen nachgedacht«
Ich empfehle das Buch »Die Fehlbaren« von Helene Bubrowski. Nach einem gemeinsamen Besuch in der Fernsehsendung »Markus Lanz« hat mir die Autorin und Politikkorrespondentin der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung« von ihrem Buchprojekt erzählt, für das sie sich mit der Frage beschäftigt, warum Fehler und Fehlentscheidungen in der Politik so oft ein Tabuthema sind. Diese Frage stelle ich mir selbst auch regelmäßig. Gerade in der Berliner Politik- und Medienwelt ist der Begriff Fehlerkultur häufig eine gutklingende, aber zugleich leere Worthülle. Ich war sehr neugierig darauf, wie Helene Bubrowski das in ihrem Buch aufbereitet.
Sie beleuchtet den politischen Alltag zwischen Erwartungsdruck, Shitstorms und Krisenmanagement und nimmt dabei die Perspektive von Spitzenpolitikerinnen und -politikern ein. Sie blickt auch auf die Arbeit der SPD, auf die Zusammenarbeit in der Ampelkoalition oder die Zeitenwende nach dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Beim Lesen habe ich mich oft in diese Abschnitte und Situationen zurückversetzt gefühlt und über meinen Umgang mit Fehlentscheidungen nachgedacht. Beispielsweise habe ich mich Anfang des Jahres öffentlich für eine Aussage in einer Pressekonferenz entschuldigt, in der ich über rechtsextreme Ausschreitungen in der Silvesternacht in Ostdeutschland gesprochen hatte. Die Meldungen, auf die ich mich bezogen hatte, haben sich später als nicht haltbar herausgestellt. Damit habe ich mich extrem unwohl gefühlt, und mir war wichtig, das richtigzustellen. Ich glaube, dass wir von einem realistischen Blick auf Politik und von Fairplay auch mit der politischen Konkurrenz profitieren können. Ich glaube, da entwickelt sich langsam ein Bewusstsein dafür, dass alte Rollenbilder von unfehlbaren »Machotypen« in der Politik überholt sind und Fehlerbewusstsein keine Schwäche ist.
Was nach der Lektüre hängen bleibt? Politikerinnen und Politiker sind Menschen – und Menschen machen Fehler. Gute Politik muss dann bereit sein, Entscheidungen zu erklären, angemessene Konsequenzen zu ziehen und aus Fehlern zu lernen. So hält Politik auch widersprüchliche Erwartungen aus und kommt bei den Menschen an. Das ist authentisch. Ich finde, der konstruktive Umgang mit Fehlern ist eine Stärke unserer Demokratie.
Ansonsten lese ich in meinem durchgetakteten Alltag vor allem sehr viel Zeitung, um immer auf dem aktuellen Stand zu sein. Neben Nachrichten aber auch Musikblogs und natürlich Fußballzeitschriften. Wenn ich ein Buch zur Hand nehme, dann sind das meistens politische oder biografische Sachbücher. Bücher, die einen Mehrwert für meine Arbeit haben oder aktuell diskutiert werden. Da kann ich auch bei der Auswahl meiner Freizeit-Lektüre nicht so richtig aus meiner Politiker-Haut.
Lars Klingbeil, geboren 1978 in Soltau, studierte nach dem Abitur Geschichte, Soziologie und Politische Wissenschaften. Seit 2009 vertritt er als SPD-Abgeordneter seinen heimatlichen Heidekreis und den Landkreis Rotenburg im Deutschen Bundestag.
Seiner Partei hat er bereits in verschiedenen Funktionen gedient, anfangs im Wahlkreisbüro von Gerhard Schröder, später als stellvertretender Juso-Vorsitzender und vier Jahre lang, von 2017 bis 2021, als Generalsekretär. In dieser Funktion war er für die Bundestagswahl-Kampagne verantwortlich; man bescheinigte ihm einen entscheidenden Anteil am Wahlsieg von Olaf Scholz.
Seit Dezember 2021 ist er zusammen mit Saskia Esken Bundesvorsitzender seiner Partei. Er gilt als geduldiger Brückenbauer und geschickter Stratege.