ZEIT-Redakteurin Laura Cwiertnia über den Roman »Der Bastard von Istanbul« von Elif Shafak:
»Mit Humor, der nicht flach wird, entspinnt sie die Eigenarten einzelner Charaktere, vielleicht einer ganzen Gesellschaft.«
Welches Buch hat dich kürzlich begeistert?
Als ich vor einiger Zeit zufällig »Der Bastard von Istanbul« von Elif Shafak in der Buchhandlung in die Hände nahm, kaufte ich es zunächst nur, weil mich der Klappentext entfernt an meine eigene Geschichte erinnerte: Eine Frau, die wenig über ihre eigene Herkunft weiß, die in der Türkei nach Spuren ihrer Familie sucht und sich schließlich dem Völkermord an den Armeniern nähert. Doch je länger ich mich durch die 464 Seiten las, desto mehr berührte mich der Roman auch über seine Dramaturgie hinaus. Der Autorin gelingt nämlich auf den allermeisten Seiten – wie übrigens oft in ihren Büchern – eine ganz besondere Mischung aus Leichtigkeit und Schwere. Mit Humor, der nicht flach wird, entspinnt sie die Eigenarten einzelner Charaktere, vielleicht einer ganzen Gesellschaft. Bei mir hinterließ das einen tiefen Eindruck, auch heute noch, da ich das Buch längst ausgelesen ins Regal geschoben habe.
Wo liest du am liebsten und warum?
Weit weg, irgendwo am Meer vielleicht, in einer Schlucht oder in den Bergen. Mal mit Musik im Ohr, mal mit dem Wind- oder Wellenrauschen. Hauptsache, der Alltag hat es möglichst schwer, sich zwischen die Zeilen zu mischen.
Und was liest du sonst so?
Lateinamerikanische Autorinnen und Autoren, jedenfalls meistens. Weil sie Geschichten zu erzählen haben, die viele woanders sich nie ausdenken könnten. Elsa Osorio, Leonardo Padura, Elena Poniatowska, Juan Gabriel Vasquéz, Samantha Schweblin.
Laura Cwiertnia schreibt als stellvertretende Ressortleiterin von GREEN vor allem über Nachhaltigkeitsthemen in der ZEIT. Nun hat sie aber auch ein Buch geschrieben. Übermorgen erscheint ihr literarisches Debüt: »Auf der Straße heißen wir anders«. Darin erzählt Laura Cwiertnia einfühlsam die Familiengeschichte von Karla, die in Bremen aufwächst und zwar weiß, dass sie armenische Wurzeln hat, über die aber nie gesprochen wird. Eindrücklich beschreibt unsere Kollegin, wie es sich anfühlt, nicht dazuzugehören. Und davon, wie es ist, keine Geschichte zu haben, die man mit anderen teilen kann. Wenn Sie sich einen Eindruck von dem Buch verschaffen möchten, schauen Sie doch bei einer ihrer Lesungen in den kommenden Wochen vorbei.