Die Theologin und ehemalige Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche Deutschlands Margot Käßmann über ihre Buchempfehlung »Das Gewicht der Worte« von Pascal Mercier:

»›Das Gewicht der Worte‹ ist kein Buch, das man abends mal eben so wegschmökert, es bedarf einer gewissen Konzentration.«

In Pascal Merciers philosophischem Roman »Das Gewicht der Worte« ringt der Held, der als Übersetzer arbeitet, um das richtige Wort. Weil er die südeuropäischen Sprachen studieren will, vertieft er sich in einen bewussten Umgang mit ihrem Vokabular und ihrer Struktur. Das hat mich als Theologin natürlich besonders interessiert. Mitunter sind es ja kleine Unterschiede, die eine Bedeutung verschieben können, ich denke zum Beispiel an den alttestamentarischen Satz »Leas Augen waren matt«, so heißt es bei Luther, während wir in neuen Übersetzungen lesen: »Leas Augen waren sanft« – was etwas völlig anderes bedeutet. Ich beobachte, dass Sprache mittlerweile immer mehr verroht, zum Beispiel in E-Mails. Da macht sich eine große Formlosigkeit breit. Häufig lautet die Anrede nur noch »Hey«. Ich habe nichts gegen saloppe Äußerungen, aber ganze Sätze sollten doch möglich sein. »Das Gewicht der Worte« ist allerdings kein Buch, das man abends mal eben so wegschmökert, es bedarf einer gewissen Konzentration. In diesem Sommer habe ich Zeit zum Lesen gehabt, und für den Roman von Mercier habe ich etwa zwei Wochen benötigt. Es war ein Genuss.

Darüber hinaus habe ich sehr gern von John Ironmonger »Der Wal und das Ende der Welt« gelesen, das ist eine Geschichte, die fast die Corona-Epidemie vorwegnimmt. Das Buch spielt in der Londoner Finanzwelt und in einem klitzekleinen Dorf am Ende der Welt, irgendwo an der englischen Küste, und stellt die Frage, was uns wichtiger ist: mitzuspielen in der hektischen Großstadtwelt oder seinen Platz zu suchen in einer kleinen Dorfgemeinschaft, wo noch etwas wie Verlässlichkeit herrscht. Plötzlich bricht eine heftige Grippewelle aus, die das alles ins Wanken bringt, ähnlich wie die Corona-Epidemie, die wir gerade erleben.

Auf ganz andere Weise beschäftigt mich als Christin und Theologin das Buch von Walter Homolka »Der Jude Jesus – eine Heimholung«. Wie wird Jesus als Jude von den Juden gesehen und neu wahrgenommen? Walter Homolka, der liberale Rabbiner, hat den ersten Rabbinerlehrgang seit dem Holocaust auf deutschem Boden gegründet und leitet das Abraham Geiger-Kolleg an der Universität Potsdam.

Margot Käßmann ist Theologin, Autorin und ehemalige Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche Deutschlands. Ihr jüngstes Buch »Nur Mut! Die Kraft der Besonnenheit in Zeiten der Krise« ist im Juni erschienen. Vor einigen Wochen haben wir in der ZEIT daraus einen Auszug veröffentlicht. Diesen können Sie hier nachlesen.

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