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Die Unternehmerin und Politikerin Marie-Christine Ostermann über den autobiografischen Roman »Ein Mann seiner Klasse« von dem Journalisten und Autor Christian Baron:

»Das Buch beschreibt sehr berührend, wie chancenungerecht Deutschland ist.«

 

Welches Buch hat Sie kürzlich richtig begeistert? 
Besonders berührt hat mich das Buch »Ein Mann seiner Klasse« von Christian Baron. Der Autor beschreibt in dem Buch seine eigene Kindheit und Jugend. Aufgewachsen in prekären Verhältnissen mit einem prügelnden, alkoholkranken Vater, der als Möbelpacker arbeitet, und einer depressiven, früh verstorbenen Mutter, schafft Christian Baron dennoch als erstes und einziges Mitglied seiner Familie das Abitur, studiert Politikwissenschaften, Germanistik und Soziologie und wird erfolgreicher Journalist.

Der Weg dorthin ist extrem schwer. Als Kind leidet Baron zum Beispiel so intensiv Hunger, dass er mit den Fingernägeln den Schimmelpilz von den Wänden kratzt und isst. Dank seiner Tante, die an ihn glaubt, ihn motiviert und für ihn kämpft, schafft Baron den Aufstieg und entflieht seinem früheren Leben.

Halten Sie dieses Buch gerade jetzt für aktuell? 
Das Buch beschreibt sehr berührend, wie chancenungerecht Deutschland ist. Bildungs- und Aufstiegschancen sind in unserem Land besonders stark vom Elternhaus abhängig. In der Regel werden Kinder beruflich das, was ihre Eltern auch sind. Unser Bildungssystem motiviert junge Menschen häufig nicht, das Beste aus sich und ihren Talenten zu machen und die eigenen Stärken zu erkennen. Stattdessen werden in diesem Buch Beispiele dafür angeführt, wie demotivierend und herablassend sich einige Lehrkräfte gegenüber dem jungen Schüler verhalten und wie sie sogar den letzten Funken Selbstvertrauen zerstören, anstatt Mut, Gestaltungswillen und Vertrauen in die Talente des Schülers zu fördern. Es werden auch Beispiele beschrieben, wie das Jugendamt dabei versagt, sich zu kümmern und hilfebedürftige Kinder vor Gewalt, Hunger und Leid zu schützen. Deutlich wird auch, wie festgefahren in Rollenbildern und Schubladen unsere Gesellschaft ist. Barons sozialer Aufstieg aus der eigenen Klasse heraus sorgt für Spannungen und Ärger in der eigenen Familie, aber auch für Misstrauen in seiner Umgebung, der neuen Gesellschaftsschicht. Es ist bis heute nicht normal und selbstverständlich, dass jemand anders ist und etwas anderes macht als seine Familie.

Wem würden Sie es eher nicht empfehlen? 
Das Buch beschreibt wesentliche Schwächen unseres Sozial- und Bildungssystems, aber es werden keine konkreten Vorschläge gemacht, wie man diese Mängel abstellen könnte. Empfehlen würde ich das Buch daher nicht denen, die konkrete Lösungsansätze für mehr Chancengerechtigkeit in unserem Land lesen möchten. Meine Meinung ist: Jedes Kind muss unabhängig von Elternhaus, Wohnort oder Schulform das Beste aus sich und seinen Talenten machen können. Dafür setze auch ich mich bereits seit Jahren ein und habe die Non-Profit-Initiative »Startup Teens« gegründet, die Jugendlichen kostenlos unternehmerisches Denken, Handeln und Coden über eine digitale Plattform und Mentoring-Programme vermittelt.

Und was lesen Sie sonst so? 
Neben zahlreichen Wirtschaftszeitungen, -magazinen und -büchern gerne Bücher, die mit Wirtschaft auch mal weniger zu tun haben. Aktuell lese ich »La beauté du ciel« von Sarah Biasini. Die Tochter von Romy Schneider beschreibt in ihrem Buch, wie ihr Leben nach dem Tod der berühmten Mutter weitergeht und wie sie mit dem Verlust umgeht.

 

In einem Interview mit der ZEIT wurde Marie-Christine Ostermann einmal danach gefragt, was sie mehr nerve: Als Frau in der männerdominierten Wirtschaft stärker mit den Nachteilen oder den Vorteilen assoziiert zu werden? Beides nerve, antwortete sie, »Geschlecht, Alter und Herkunft sollten komplett irrelevant sein. Eigentlich kommt es doch darauf an, was ein Mensch kann und wie er mit anderen umgeht.«

Der 43 Jahre alten Marie-Christine Ostermann, studierte Betriebswirtin mit Erfahrung als Bereichsleiterin bei Aldi Süd, bieten sich zahlreiche Gelegenheiten, mit anderen umzugehen: Sie leitet den Lebensmittel-Großhandel Rullko in Hamm/Westfalen. Drei Jahre lang war sie Vorsitzende des Bundesverbandes Junge Unternehmer und galt als »Stimme und Gesicht des Mittelstands«. Als meinungsfreudige Lobbyistin tritt Ostermann, die Mitglied der FDP ist, häufig in Talkshows auf.

 

Ein Mann seiner Klasse

Von dem Journalisten und Autor Christian Baron (2020)

Kaiserslautern in den Neunzigerjahren: Christian Baron erzählt die Geschichte seiner Kindheit, seines prügelnden Vaters und seiner depressiven Mutter. Er beschreibt, was es bedeutet, in diesem reichen Land in Armut aufzuwachsen. Wie es sich anfühlt, als kleiner Junge männliche Gewalt zu erfahren. Was es heißt, als Jugendlicher zum Klassenflüchtling zu werden. Was von all den Erinnerungen bleibt. Und wie es ihm gelang, seinen eigenen Weg zu finden. Christian Baron lebt mittlerweile als freier Autor in Berlin. Nach dem Studium der Politikwissenschaft, Soziologie und Germanistik in Trier arbeitete er mehrere Jahre als Zeitungsredakteur. »Ein Mann seiner Klasse« ist sein viel beachtetes literarisches Debüt. Der ZEIT-Redakteur Ijoma Mangold hat es vergangenes Jahr in der ZEIT rezensiert. Dieses Jahr brachte Baron zusammen mit der Lektorin Maria Barankow die Anthologie »Klasse und Kampf« heraus.

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