Die Schauspielerin Marie Leuenberger über den Roman »Homeland Elegien« von dem amerikanischen Schriftsteller Ayad Akhtar:
»Wer eine eindeutige Antwort auf die Frage nach Identität und Herkunft haben möchte, darf dieses Buch nicht lesen.«
Worum geht’s?
Es geht um Heimat und um die Sehnsucht nach Identität und Zugehörigkeit. Aber auch um den Verrat der alten Werte durch den Kapitalismus und seine Gier.
Wie sind Sie auf das Buch gekommen?
Nach Abschluss der Dreharbeiten werden wir Schauspieler oft mit einem Blumenstrauß beschenkt. Diesmal hat die Produzentin Kirsten Hager vom Passau-Krimi mir zwei Bücher geschenkt, dies war das eine, das andere war: »Igor Levit. Hauskonzert« von Florian Zinnecker – auch lesenswert!
Was macht das Buch für Sie gerade jetzt aktuell?
Ayad Akhtar nimmt mich mit ins heutige Amerika und schildert durch zahlreiche Begegnungen mit seiner Familie und Freunden und deren Biografien einen Zustand von der Diskrepanz, in einem kapitalistischen System dazugehören zu wollen und seine muslimisch geprägte Herkunft nicht ablegen zu können. Der Kultur-Clash ist nicht nur der zwischen Orient und Okzident, sondern auch wie das alte Amerika vom neuen Amerika abgelöst wird. Das ist schockierend banal erzählt.
Wen würden Sie vor dem Buch warnen und warum?
Wer eine eindeutige Antwort auf die Frage nach Identität und Herkunft haben möchte, darf dieses Buch nicht lesen. Es wirft viele Fragen auf und zeigt die Komplexität unserer multikulturellen Welt auf.
Was bleibt nach dem Lesen?
Kulturen prägen unseren Lebensstil, unsere Erziehung, unseren Glauben. Und das neue Amerika zur Präsidenschaftszeit von Donald Trump wirft die »alte Welt« ab. Der Glaube an Geld und Kapitalismus besiegt den religiösen Glauben an Werte. Das zerreißt Freundschaften und Familien, und nur mit viel Verständnis und Toleranz dürfen, wollen und können wir miteinander weiterleben.
Haben Sie beim Lesen des Buches etwas Neues (über sich) gelernt?
Ayad Akhtar ist Amerikaner und lässt mich als Leserin spüren, dass ihm durch seine pakistanischen Wurzeln der Zutritt zur Elite der amerikanischen Gesellschaft ewig verschlossen bleiben wird. In banalen Alltagssituationen beschreibt Ayad Akhtar die Fremdheit und Angst, die ihm von wildfremden Leuten entgegenschlägt: 9/11, Osama bin Laden, Rassismus, Attentate, Trump, seine Mauer schüren Vorurteile, und er ist diesem Anders-wahrgenommen-Werden tagtäglich ausgeliefert.
Wenn Sie mit einem Charakter aus dem Buch tauschen könnten, welcher wäre das und warum?
Nun ja, mit dem Autor höchstpersönlich. Denn er zeigt mir seine Verwandten in Pakistan, die damals vor den kriegsähnlichen Konflikten geflüchtet sind oder immer noch in einem zerrissenen und armen Land leben, er nimmt mich mit zu seinem Vater, der emigrierte und als erfolgreicher Professor für klinische Kardiologie Donald Trump als Patienten hatte und zeitlebens ein Fan von ihm war. Ayad Akhtar selber ist ein gefeierter Theaterautor, dessen Stücke überall auf der Welt gespielt werden, er wird als der Muslim, der über Muslime schreibt, gefeiert, und durch die Begegnung mit dem einflussreichen Riaz lernt er die wohlhabende Charity-Welt kennen, die mit guten Absichten materielle und ideelle neue Wege beschreiten will, die aber auch ein Kosmos für sich ist. Er sieht die Einsamkeit und den Verlust in seinem Freundes-, und Familienkreis, er deckt die Geheimnisse und Lebenslügen in seinem Umfeld auf, und noch ganz vieles mehr …
Wo lesen Sie am liebsten und warum?
Nachmittags auf dem Sofa in der Wohnküche. Oder abends vor dem Einschlafen im Bett.
Und was lesen Sie sonst so?
Ich lese beruflich viele Drehbücher. Und ich lese oft Zeitung, am liebsten ganz altmodisch die Printversion. Ich mag das Haptische. Für Romane nehme ich mir nur Zeit, wenn sie mich packen. Gerade lese ich: »Marzahn mon Amour – Geschichten einer Fußpflegerin« von Katja Oskamp
Die Schauspielerin Marie Leuenberger dürfte Fernsehzuschauern sehr gut bekannt sein. So spielt sie zum Beispiel die Hauptrolle in der ARD-Filmreihe »Ein Krimi aus Passau«. Ab heute ist sie aber auch wieder auf der Kinoleinwand zu sehen. Der Film »Bis wir tot sind oder frei« von Regisseur Oliver Rihs erzählt die auf wahren Begebenheiten basierende Geschichte des Schweizer Ausbrecherkönigs Walter Stürm. Es geht um Freiheit, Rebellion und Liebe. Marie Leuenberger spielt die engagierte Menschenrechtsanwältin Barbara Hug, die das rückständige Justizsystem in den frühen 1980er-Jahren in der Schweiz umkrempeln möchte. Sie vertritt Linksautonome wie die rebellische Heike (Jella Haase) und nutzt das Gericht als ihre Bühne. Eines Tages sucht auch der Industriellensohn und Berufskriminelle Walter Stürm (Joel Basman) ihren Rat. Wir durften den Film schon sehen und waren begeistert.