Der Schauspieler Mathias Herrmann über die Kurzgeschichte »Mabel« von William Somerset Maugham:
»Psychologisch genau und schillernd ausgeführt. Die Lektüre seiner Geschichten ist eine echte Bereicherung.«
Wie bist du auf das Buch gekommen?
Ich habe mal wieder das große Glück, für den Verlag der Buchhandlung Bindernagel ein Hörbuch ganz nach meinen Vorstellungen gestalten zu können. Nach »Die schönsten Balladen« und »Meistererzählungen von Jack London« habe ich mich für »Liebesgeschichten« entschieden. Mittlerweile lese ich seit über drei Monaten Kurzgeschichten, die in jeder erdenklichen Form um das Thema Liebe kreisen. Eine Auswahl muss ja getroffen werden. Und literarisch hochwertig soll es schon sein, Witz muss es haben, bewegen, zum Nachdenken anregen. Da gibt es eine Fülle von tollen Geschichten. Echte Perlen habe ich gefunden bei Anton Tschechow, Johann Peter Hebel, Edgar Allen Poe, Marie Luise Kaschnitz, Heinrich Mann, Isabel Allende und vielen mehr. Aber einen Autor möchte ich an dieser Stelle herausheben: William Somerset Maugham fasziniert mich schon seit vielen Jahren, und auch jetzt, bei erneuter Lektüre, bin ich dem Autor wieder ganz verfallen.
Was macht das Buch für dich so spannend?
In seiner Kurzgeschichte »Mabel« führt uns Somerset Maugham eine bemerkenswerte Frau vor Augen, obwohl sie lediglich gegen Ende einen einzigen Auftritt hat. Trotzdem erscheint sie dem Leser ganz plastisch, und ich musste sehr schmunzeln ob ihrer Entschlossenheit, ihrem Verlobten durch halb Asien hinterherzujagen und die Geschichte letztlich zu einem guten Ende zu bringen. Es sind dann doch die Frauen, die die Welt mit ihrer zupackenden Art vielleicht ein bisschen besser machen.
Gibt es einen Moment, der dir besonders in Erinnerung geblieben ist?
Das »sich Zusammenreimen« der Figur Mabel hat mir ein diebisches Vergnügen bereitet. Aber es sind die fremden Welten, in die man beim Lesen von Somerset Maugham eintauchen kann. Er selbst, früh Waise, Stotterer, Arzt, Spion des englischen Geheimdienstes, einer der populärsten Autoren des 20. Jahrhunderts, war weit gereist und all das findet Niederschlag in seinen Geschichten – psychologisch genau und schillernd ausgeführt. Die Lektüre seiner Geschichten ist eine echte Bereicherung.
Was bleibt nach dem Lesen?
Manchmal ein Moment des Innehaltens. Gedanken, Gefühle, Gespräche über das Erlebte – aber nach dem Lesen ist vor dem Lesen. Ich bin nie ohne Buch unterwegs, nicht am Set, wo die Wartezeit zur nächsten Szene überbrückt sein will, nicht auf Reisen, nicht im Alltag, und auch zu Hause bin ich umgeben von Literatur. Scheint ein Lebenselixier zu sein und ist mir als Sohn eines Buchhändlers vielleicht in die Wiege gelegt worden…
Wo liest du am liebsten und warum?
Wo? Überall.
Und warum?
Natürlich auch beruflich bedingt. Die Auseinandersetzung mit dem Wort, der Sprache, dem Autor ist für mich als Schauspieler unabdingbar und mit großer Freude besetzt. Aber letztlich ist es das Abtauchen in fremde Welten, das Entdecken eines unbekannten Kosmos, Neuland zu beschreiten, mich bereichern zu lassen – das sind die Dinge, die das Lesen unvergleichlich machen.
Und was liest du sonst so?
Die letzten Romane, die ich allesamt empfehlen kann, waren: Helga Schubert »Vom Aufstehen«, Ayelet Gundar-Goshen »Löwen wecken«, Adriana Altaras »Die jüdische Souffleuse«, Juli Zeh »Über Menschen«, Anne Weber »Annette, ein Heldinnen-Epos«, Patrick Modiano »Schlafende Erinnerungen« – aber gerne auch mal ’nen Krimi für zwischendurch.
Der Schauspieler Mathias Hermann ist Sohn aus einer Buchhändlerfamilie und vielleicht auch deshalb bekennender Vielleser. Neben Drehbüchern liest Hermann vor allem Romane. Durch seine angenehm warme und tiefe Stimme ist er auch als Vorleser sehr gefragt. Neben diversen Serien-Hauptrollen und Theaterengagements spielt er auch in Kinofilmen. Etwa in dem mehrfach ausgezeichneten Film »John Rabe«. Am 4. November ist er wieder im ZDF in der Drama-Serie »Notruf Hafenkante – Schwer verliebt« zu sehen.