Der Kabarettist Mathias Richling über »Tractatus logico-philosophicus« von dem Philosophen Ludwig Wittgenstein:
»Sein Zweck wäre erreicht, wenn es einem, der es mit Verständnis liest, Vergnügen bereite«
Und von denen gibt es ja nicht sehr viele. Es ist ein Buch, das mit dem Satz beginnt, man könne es vielleicht nur verstehen, wenn man selbst bereits einmal diese oder ähnliche Gedanken darin gedacht habe. Und sein Zweck wäre erreicht, wenn es einem, der es mit Verständnis liest, Vergnügen bereite. Das ist schon früh im Grunde ein Kernsatz meiner satirischen Arbeit auf der Bühne und im Fernsehen geworden: Dass nur das bei den Menschen ankommt und verstanden und umgesetzt wird, was sie selbst schon – diffus, emotional oder in Bruchstücken – angedacht haben. Das bedeutet, dass der einzig wirkliche Erfolg von Satire nicht etwa darin liegt, grundlegend neue Erkenntnisse zu schaffen oder unbekannte Informationen zu enthüllen. Nein, der einzig wirkliche Erfolg von Satire liegt darin, den Zuschauern Formulierungshilfen zu geben für das, was in ihnen schon lange rumort. Und für das sie bislang keine Worte gefunden haben. Gemäß der zentralen Umkehrung des Einleitungssatzes ›meines‹ Buches: »… Es ist mir gleichgültig, ob das, was ich gedacht habe, vor mir schon ein anderer gedacht hat« in die Formulierung: Was ich nicht gesagt habe, habe ich nicht gedacht. Erst wenn es ausgesprochen und formuliert ist, bekommt es die Form, die anderen den Inhalt verständlich macht und die anderen auch das eigene Empfinden verständlich macht. Es handelt sich um den »Tractatus logico-philosophicus«, das erste Hauptwerk des österreichischen Philosophen Ludwig Wittgenstein (1889 bis 1951), erstmals erschienen 1921. Und der Satz, es sei ihm gleichgültig, was andere schon gedacht haben, drückt zudem aus, dass das meiste, was man von sich gibt, bereits gedacht wurde. Aber jeder, der das äußert, was vielfach gedacht wurde, formuliert es anders und erreicht dadurch wieder andere Menschen, die auf einer anderen Wellenlänge Gesagtes empfangen. In der Negierung heißt das für Wittgenstein: Wovon man nicht reden kann, darüber muss man schweigen. Womit nicht etwa verschweigen gemeint ist. Sondern einfach, die Dinge, die einen beschäftigen, in eine klare, vermittelbare, geordnete Form zu bringen, ohne die andere nur irritiert würden und geführt würden auf einen missverstandenen, falschen Weg. Kann man das nicht, ist darüber zu schweigen. Eine weitere entscheidende Conclusio aus vorherigen, exakten, logischen Entwicklungen ist sehr spät im Traktat die Anmerkung: »Dass die Welt meine Welt ist, das zeigt sich darin, dass die Grenzen der Sprache (der Sprache, die allein ich verstehe) die Grenzen meiner Welt bedeuten … Die Welt und das Leben sind Eins … Ich bin meine Welt …« Wer sich diesen Satz klarmacht und ihn in sich dreht und wendet, wird vieles an eigener Überheblichkeit reduzieren. Auch an Impertinenz, nächsten Mitmenschen, der eigenen Gesellschaft, anvertrauten Bürgern oder auch sogar anderen Nationen zu sagen, zu empfehlen, zu raten oder gegebenenfalls auch vorzuschreiben, wie oder was sie zu leben oder zu glauben oder wie sie sich zu verhalten haben. Die Welt für mich endet da, wo ich sie begreife. Aber das gilt für jeden anderen ebenso. Deswegen ist meine Welt so klein. Und deswegen ist die Welt aller zusammen so groß.
Und wenn Sie mich jetzt fragen: Was lesen Sie sonst so? Dann antworte ich Ihnen: Dasselbe noch mal. Denn vielleicht schreibe ich Ihnen danach was ganz anderes.
Mathias Richling (Jahrgang 1953) verfügt über diese einprägsame Stimme, die erstens nach seiner Heimat klingt und zweitens unabweisbar eine kollektive Lachbereitschaft verbreitet. Er ist der temporeiche Alleskönner und Politiker-Parodist unter den Kabarettisten, und wer gerade die Gelegenheit hat, ihn auf seiner Tournee live zu erleben, sollte sich das nicht entgehen lassen. Zahlreich wurden seine Programme ausgezeichnet, selbstverständlich mit dem Deutschen Kleinkunstpreis und kürzlich mit der »Krefelder Krähe«. Dass er nicht nur Musik, Schauspiel und Geschichte studiert hat, sondern obendrein Literaturwissenschaft und Philosophie, dürfte nach der Lektüre dieser Empfehlung naheliegen. Dankenswerterweise ist er nach seinem Magister-Examen nicht in eine akademische Karriere, sondern in die Satire abgebogen. Das dankt ihm das Publikum, einst wegen »Jetzt schlägt’s Richling« und immer noch wegen der »Mathias Richling Show«. Bücher hat er auch verfasst, jüngster Titel: »Das Virus Demokratie? Eine Abschätzung«.