Die Schriftstellerin Mithu Sanyal über den humoristischen Überlebensratgeber »WTF Berlin« von Jacinta Nandi:
»Wenn ich Jacinta Nandi lese, bleibt mir immer wieder die Luft im Hals stecken. Weil die Welt plötzlich so viel klarer wird oder so viel komischer.«
Ich sage es immer. Und ich sage es auch hier: Jacinta Nandi ist die deutschsprachige Kult-Schriftstellerin. Jetzt hat sie ihr erstes Buch auf Englisch veröffentlicht. Bei einem deutschen Verlag. Sag ich doch: Kult!
Der Titel ist »WTF Berlin«, was übersetzt »What The Fuck Berlin« bedeutet. Untertitel »Expatsplaining the German Capital«. Aber eigentlich erklärt Jacinta Nandi uns uns selbst, also die deutsche Welt und Anschauung von A wie Anmeldung bis Z wie Zecke. »I have been anmelding in Germany for twenty years. When I arrived, I was petrified of the idea. I thought it was, basically, Stasi as fuck. The police had a big database with the name and address of everyone in the fucking country?«, fragt Nandi entsetzt.
In England, wo sie geboren wurde, beweist man seine Existenz, indem man einen Brief der Bank vorzeigt, der an einen adressiert wurde. Kein Wunder, dass die Briten die besten Krimis schreiben. Und den besten Rassismus haben. Nach dem Brexit wurde von polnischen Teenagern verlangt, dass sie ihre Stromrechnungen der letzte 20 Jahre vorlegen oder die Insel verlassen.
Wenn ich Jacinta Nandi lese, bleibt mir immer wieder die Luft im Hals stecken. Weil die Welt plötzlich so viel klarer wird oder so viel komischer.
»They change the rules every day,. Oh, I am so confused about the Corona stuff. Are you confused?«, beschwert sich eine Freundin bei ihr »I don’t even know what is allowed or not anymore! Are we allowed to shake strangers’ hands? Have sex with our old pre-Corona fuck buddies? Smoke crack together if we disinfect the pipe first? What about ketamine? Is ketamine illegal now?« Das ist so radikal, weil es so unschuldig ist. Jacinta Nandi schreibt es nicht auf, um zu provozieren. Wahrscheinlich hat sie es aufgeschrieben, weil es genau so geschehen ist. Das ist Autofiktion at its best. Jacinta Nandi ist ihr eigenes Kunstwerk, und in ihrer Literatur können wir alle daran teilhaben.
Mithu Sanyal ist Kulturwissenschaftlerin, Journalistin und Schriftstellerin. Ihre Themen: Gender, Identität, Politik, Kapitalismus und Sex(ualitäten). Nach den Sachbüchern »Vulva – die Enthüllung des unsichtbaren Geschlechts« und »Vergewaltigung. Aspekte eines Verbrechens« veröffentlichte sie 2021 ihren ersten Roman. »Identitti« war auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises und wurde auch in der ZEIT viel besprochen. Zum Beispiel von ZEIT-Autor Ronald Düker im Februar vergangenen Jahres. Besonders sehenswert auch das Gespräch von David Hugendick mit der Autorin über die schönsten vergessenen Bücher, walisische Landschaftsbeschreibungen und die Literaturabteilung bei Karstadt.