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ZEIT-Redakteur Oskar Piegsa über den Erinnerungsband »Tarzan am Prenzlauer Berg. Sudelblätter 1981–1983« von Adolf Endler:

»Das Tagebuch eines unbequemen Typen in einer unbequemen Lage, voller kurzer Beobachtungen, Anmerkungen, Anekdoten.«

Geschichten aus Berlin wollte ich eigentlich nicht mehr lesen. Es ist ja so: 83 Millionen Menschen leben in Deutschland, nur etwa dreieinhalb Millionen davon in Berlin. Trotzdem spielt dort gefühlt jeder zweite Roman. Seit hundert Jahren geht das schon so, und eine Besserung ist nicht in Sicht, das zeigen die Programmvorschauen der Verlage: Angekündigt sind Romane über Liebespaare in Berlin, Putzfrauen in Berlin, Kaufhausdynastien in Berlin, gelangweilte Hipster in Berlin. Und immer wieder über die Zwanzigerjahre in Berlin. Erst kam »Babylon Berlin«, jetzt ein Buch namens »Sodom und Berlin«. Es ist so doof, man könnte es sich dööfer nicht ausdenken.
Adolf Endlers »Tarzan am Prenzlauer Berg« kaufte ich deshalb mit einem gewissen Widerwillen. Das Buch spielt in Berlin, aber wenigstens nicht in den Zwanzigern, sondern in den Achtzigern. Und nicht in Kreuzberg, wo Herr Lehmann rumschlurft, sondern auf der anderen Seite der Mauer, in der DDR. In die war Adolf Endler einst freiwillig übergesiedelt, aus politischer Überzeugung. Um es kurz zu machen: Die Überzeugung bröckelte. Die DDR erwies sich zwar als sozialistisch, aber auch als sehr deutsch, und das war eine doppelt schlechte Kombination für einen, der nicht zum Untertanen geboren ist.

Alle forderten von Adolf Endler, dass er sich anpasst: die Partei, der Hauswart, sogar die Oppositionellen. »Manche Oppositionelle scheinen der schlimmen Meinung zu sein: Wo es um ›Menschenrechte‹ etc. geht, darf nicht sprach-gespielt und oder gekalauert werden, sondern nur mit dem verbissensten Ernst und Gesichtsausdruck ›gedichtet‹.« Endler aber passte sich nicht an. Er glaubte an fast nix mehr, auch nicht an die Sprache, deshalb spielte er mit ihr. »Tarzan am Prenzlauer Berg« ist keine große Literatur, sondern ein autobiografisches Konvolut. Das Tagebuch eines unbequemen Typen in einer unbequemen Lage, voller kurzer Beobachtungen, Anmerkungen, Anekdoten. Man muss den Autor mögen, um das lange durchzuhalten. Ob man ihn mag, merkt man nach zwei, drei Seiten. Und wenn man’s tut, ist auch Berlin ganz egal, denn Adolf Endler ist einzigartig.

Oskar Piegsa ist Redakteur im Hamburg-Ressort der ZEIT. Er schreibt dort oft über Bildung und manchmal über Literatur. Zuletzt traf er Dörte Hansen, die Autorin der Bestseller-Romane »Altes Land« und »Mittagsstunde«, in ihrem Arbeitszimmer in Husum. Sie hörten zusammen Schlager und sprachen über das Fremdsein. Zum Artikel.

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