Der Kantor des Dresdner Kreuzchores Roderich Kreile empfiehlt den Romanklassiker »Das Glasperlenspiel« von Hermann Hesse:
»Zu Zeiten, in der die ›Weltformel‹ zu finden, Ziel mancher Wissenschaftler ist und wir beinahe täglich Faszinierendes aus der Welt der Quantenphysik hören, spricht die Idee der Verknüpfung verschiedenster Elemente aus der Welt des Seienden und des Idealen zum Erkenntnisgewinn zutiefst an.«
Ein Buch, das mich in meiner Jugend beeindruckt hat und in dem ich heute einen roten Faden zu eigenen Entwicklungen finde, ist »Das Glasperlenspiel« von Hermann Hesse, ein hochbedeutendes Werk. Die Hauptfigur ist der begabte Josef Knecht, der spätere Glasperlenspielmeister, der eine profunde musikalische Ausbildung erhält als Schüler vom Musikmeister eines elitären, von der Welt abgewandten Ordens, des Gelehrtenstaates Kastalien. Später wird er eine weitere Ausbildung in einer Ordensschule absolvieren. Die Erzählung des Glasperlenspiels faszinierte mich von Anfang an, da ich angesprochen war von der Idee, mathematisch-kosmologische Bezüge in der »Sphärenharmonie« zu erfassen sowie die Weltordnung im Spätwerk Johann Sebastian Bachs ahnend zu begreifen. Zu Zeiten, in der die »Weltformel« zu finden Ziel mancher Wissenschaftler ist und wir beinahe täglich Faszinierendes aus der Welt der Quantenphysik hören, spricht die Idee der Verknüpfung verschiedenster Elemente aus der Welt des Seienden und des Idealen zum Erkenntnisgewinn zutiefst an.
Knechts Persönlichkeit entwickelt sich im Laufe dieses opus magnum, Hermann Hesses letztem Roman; Kontinuum aber bleibt die Fähigkeit, vom Schicksal gestellte Aufgaben anzunehmen, und der Wille, an diesen Aufgaben zu wachsen und in ihnen zu dienen. Auf der höchsten Stufe des Ordens angekommen, eben als Glasperlenspielmeister, hinterfragt Josef Knecht allerdings sein eigenes Tun sowie das Wirken des Ordens und verlässt ihn schließlich. Als er zu neuen Aufgaben aufbricht, stirbt er unverhofft, als weiser Lehrer.
Die unterschiedlichen Deutungsebenen dieses 1943 erstmals veröffentlichten Buchs, das auch vor dem Hintergrund der Entstehungszeit während der Nazi-Herrschaft interpretiert werden kann (was aber eine Verkürzung hohen Ausmaßes wäre), können hier gar nicht angesprochen werden.
Ich muss einräumen, dass Literatur für mich eine Beschäftigung ausschließlich für die Ferienzeiten ist. Während des Alltags bleibt keine Zeit: Dann sind Sach- und Fachbücher, vor allem aber Partituren mein Lesestoff. Gerne würde ich mich auch über das Vergnügen äußern, dass das Lesen von Partituren für mich bedeutet: Es kann Literatur in vollem Umfang ersetzen und gelegentlich Zusammenhänge deutlich machen, die in Worte gar nicht mehr gefasst werden können, da in Musik Gefasstes dem Kundigen weitere Ausdrucksräume eröffnet.
Der Kirchenmusiker, Organist und Hochschullehrer Roderich Kreile, Jahrgang 1956, leitet seit 1997 den Dresdner Kreuzchor. Zu seinem und zum Kummer seiner »Kruzianer« wurden wegen der Corona-Pandemie sämtliche zur Advents- und Weihnachtszeit bereits geprobten Oratoriumskonzerte und Vespern abgesagt.