Sandra Hüller über den Roman »Liebes Arschloch« von Virginie Despentes:
»Ein Buch darüber, wie man endlich erwachsen wird, wie man radikal offen miteinander sein kann, nicht derselben Meinung.«
Ich lese »Liebes Arschloch« von Virginie Despentes. An Despentes komme ich auf Dauer nicht vorbei. Schon immer wollte ich etwas von ihr lesen, traute mich nicht recht, und jetzt kam es dazu. Mein wunderbarer Kollege Thomas Hauser aus München schickte mir eine Passage daraus, in der es um das Verhältnis von Filmindustrie und Körper geht, und selten habe ich etwas Treffenderes, Schonungsloseres oder Lustigeres zu dem Thema gelesen. Also kaufte ich das Buch, ohne zu wissen, worum es darin geht.
Und eigentlich möchte ich Ihnen auch gar nicht sagen, worum es geht, damit Sie auch so ein Erlebnis haben wie ich. Stellen Sie sich höchstens auf einen Briefroman ein, aus drei Perspektiven erzählt, einer männlichen und zwei weiblichen.
Der Ton ist leicht und gleichzeitig manchmal melancholisch, es gibt ungeheure Einsichten, kluge Betrachtungen zu Themen wie Social Media, MeToo, Sucht, Feminismus, Filmindustrie, Literaturindustrie, Lockdowns. Ich befinde mich mit in Paris, wenn ich Despentes lese, ich lache laut auf in öffentlichen Räumen, ich bange mit den Figuren, wenn sie beinahe etwas sehr Dummes tun, freue mich über die aufgeschriebene Möglichkeit, das eigene Leben schlagartig zu ändern, auch wenn man im Fall der Figuren hier zunächst dazu gezwungen wird. Ein Buch darüber, wie man endlich erwachsen wird, wie man radikal offen miteinander sein kann, nicht derselben Meinung. Über unerwartete Nähe, die Arbeit, die Feminismus bedeutet, und wenn ich nicht schon aufgehört hätte, Alkohol zu trinken, würde ich es nach der Lektüre dieses Buches jedenfalls tun.
Was ich sonst noch kürzlich gelesen habe: von Maya Angelou »Nur mit meiner Stimme«; von Svetlana Alexijewitsch »Der Krieg hat kein weibliches Gesicht«; von Mohamed Mbougar Sarr, »Die geheimste Erinnerung der Menschen« und von Eva Biringer »Unabhängig«.
Ihr Wikipedia-Eintrag nennt zwischen 2003 und 2022 nicht weniger als 26 Preise und Auszeichnungen für Sandra Hüller. Unvergessen ist die 1978 geborene Schauspielerin dem Publikum in der Rolle der Michaela Klingner in Hans-Christian Schmids Film »Requiem«, aber auch als Ines Conradi in »Toni Erdmann«. Für diese Rolle erhielt sie den Europäischen Filmpreis als beste Darstellerin. Zurzeit steht Sandra Hüller in Bochum und Leipzig auf der Bühne in »Der Würgeengel« und ist in dem Kinofilm »Sisi & ich« zu sehen. Vor zwei Jahren brachte sie das Mini-Album »Be Your Own Prince« mit selbst komponierten Songs heraus.