Sarah Reinbacher über den Roman »New York Ghost« der chinesisch-amerikanischen Autorin Ling Ma:
»Was das Buch aber wirklich ausmacht, ist die kluge Verknüpfung zwischen Pandemiegeschichte, Gesellschaftssatire und Generationenporträt.«
Prophetischer Endzeitroman meets Generationenporträt: Candace Chen, Tochter chinesischer Einwanderer, arbeitet in New York bei einem Verlagsdienstleister, als das mysteriöse Shen-Fieber über die USA hereinbricht. Eine Krankheit, die über importierte Billigware aus China ins Land kommt und sich rasend schnell verbreitet. Sie endet meistens nicht tödlich, sondern zwingt die Infizierten dazu, in einer Art albtraumhaften Endlosschleife banalste Dinge des Alltags zu wiederholen. Bald bricht die städtische Infrastruktur zusammen, aber Candace harrt im Büro aus und fotografiert die immer weiter verfallende Stadt für ihren Blog »New York Ghost«. Schließlich verlässt sie New York aber doch und schließt sich einigen Überlebenden an, die unterwegs zur »Anlage« sind – einem Ort, an dem sie eine neue Gesellschaft aufbauen wollen. Unglaublich, dass die chinesisch-amerikanische Autorin Ling Ma ihren in den USA hochgelobten Debütroman schon 2018 veröffentlicht hat – er passt viel zu gut in unsere Zeit! Manche Szenen haben mich an die Serie »The Walking Dead« denken lassen und erschienen mir auf beängstigende Weise real. Was das Buch aber wirklich ausmacht, ist die kluge Verknüpfung zwischen Pandemiegeschichte, Gesellschaftssatire und Generationenporträt. Wir sehen hier eine Gesellschaft, die, aller Sinnhaftigkeit und verbindender Werte beraubt, buchstäblich zusammenbricht, und eine Generation, die trotz Wohlstand und Sicherheit haltlos durchs Leben schlingert. Und zugleich ist der Roman noch so viel mehr: eine wunderbare Liebeserklärung an die Stadt New York, ein einfühlsames Porträt der zweiten Einwanderergeneration, eine Geschichte über Familie und die Suche nach Liebe, Zugehörigkeit, Sinn.
Sarah Reinbacher ist Key Account Managerin beim ZEIT-Verlag und eine unserer buchaffinsten Kolleginnen abseits des Feuilletons. Denn gemeinsam mit ihrem und unserem Kollegen Christian Eils hat sie ein privates Buchprojekt: den Instagram-Kanal @dieseitenschneider, den wir allen Literaturfans nur ans Herz legen können. Dort veröffentlichen die beiden regelmäßig Buchrezensionen. Was Sie erwartet? »Alle Bücher sind misslungen. Aber die guten weniger. Literatur und ihre Betriebsamkeit.«