Die Schriftstellerin Alexa Hennig von Lange über den Roman »Spitzweg« von Eckhart Nickel:
»Mit spielerischer Fröhlichkeit, beinahe schon Begeisterung, erweckt er ein ganzes Klassenzimmer voller Schüler zum Leben.«
Ich stehe gerne in einer Buchhandlung und informiere mich über die Neuerscheinungen auf den Tischen. Neulich tat ich das auch wieder, und sofort fiel mir der neue Roman des Schriftstellers Eckhart Nickel ins Auge, der mit seinem letzten Werk »Hysteria« für den Deutschen Buchpreis nominiert war. Das Cover seines neuen Buches: in Neonpink eingefasste Schrift, die sich wie Kollagenfetzen über ein blaugrünliches, biedermeierliches Gemälde des deutschen Malers Carl Spitzweg legt. Ich möchte nicht überziehen, aber ich hatte ein wenig den Eindruck: Der Roman sei nur für mich allein geschrieben worden. Zum einen lag das an der dynamischen Erscheinung des Bucheinbandes, zum anderen am Titel: »Spitzweg«. Augenblicklich fühlte ich mich zurückversetzt in meine früheste Jugend, als ich meinen Eltern als 13-Jährige eröffnet hatte, dass ich Schriftstellerin werden möchte. Da bekam ich unter anderem den Rat, mir das Bild »Der arme Poet« von Spitzweg genauer anzusehen. Ob ich denn auch in solch einer ärmlichen Dachkammer enden wolle?! Natürlich wollte ich das nicht – ich hatte Großes vor: Mit dem Schreiben das Menschsein, das Echte erfassen. Und genau dieses jugendliche Vorhaben findet sich als Thema bereits auf den ersten Seiten von Eckhart Nickels Roman wieder. Mit spielerischer Fröhlichkeit, beinahe schon Begeisterung, erweckt er ein ganzes Klassenzimmer voller Schüler zum Leben, denen gerade reichlich erfolglos das Anfertigen von Selbstporträts beigebracht werden soll. Keiner der Abiturienten scheint einen tieferen Sinn in dieser Aufgabe erkennen zu können. Und doch verfügt zumindest der jugendliche Erzähler über ein Talent zur analytischen Kunstbetrachtung – aufgrund seiner »Un-be-ein-druck-bar-keit.« Der junge Mann kann das Echte in der Kunst erkennen. Er kommt dem »schöpferischen Kern« so nah wie kaum ein anderer, weil er es schafft, der Welt mit Unschuld und Offenheit zu begegnen. »Weißt du, manchmal habe ich das Gefühl, wir müssten einfach alles daransetzen, das Leben als etwas Einzigartiges zu gestalten, indem wir das gleichförmige Einerlei unseres ach so drögen Alltags nicht länger als gegeben hinnehmen, sondern durch unvorhersehbare Taten in das Abenteuer zu entgrenzen, als welches unsere Kinderseele jeden Tag empfunden hat.« Und genau dieses Talent prägt die teilweise überdrehte Handlung des Romans, in dem Realität und Fantasie verschwimmen. Ein Geschenk für all jene, die an diesen Punkt zurückkehren wollen und sich nach philosophischen Eskapaden sehnen.
Alexa Hennig von Lange ist eine der erfolgreichsten Autorinnen unserer Zeit. Vor einigen Jahren war Hennig von Lange zu einem Tischgespräch mit der ZEITeingeladen. Ihren Debütroman »Relax« veröffentlichte sie 1997. Seitdem sind zahlreiche Titel gefolgt. Jetzt erschien ihr neuer Roman »Die karierten Mädchen« – der erste Band einer Trilogie. Darin erzählt Alexa Hennig von Lange, inspiriert von über 130 Tonbandkassetten ihrer Großmutter, die Familiengeschichte von Klara. Die Erzählung der über 90-jährigen fiktiven Protagonistin beginnt kurz vor dem Aufstieg der Nationalsozialisten und reicht bis in die Siebzigerjahre hinein. Ist die Familie bereit, das Familiengeheimnis zu lüften?