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Die Schauspielerin Sophie von Kessel über den Roman »Die Nachricht« von der Schriftstellerin und Journalistin Doris Knecht:

»Dieser Roman sagt so viel über unsere Beziehungen aus, über Lebenskonzepte von Frauen in einem bestimmten Alter.« 

 

Eine Freundin sagte mir kürzlich: Hier, ich glaube, dieses Buch ist etwas für dich. Sie hatte recht: »Die Nachricht« von Doris Knecht hat mich gefesselt und begeistert, weil es einerseits sehr modern ist, ein Spiegel unserer Zeit, mit Mobiltelefonen, Computern etc. ABER letztlich ist es ein Buch über Frauen, in gewisser Weise: über den Hass auf Frauen. Im Mittelpunkt steht Ruth, eine Frau von etwa Ende 40, die mit ihren Kindern in Wien und im immer etwas düsteren Waldviertel lebt. Sie hat zwei eigene Kinder, dazu spielt noch eine Stieftochter eine Rolle – und sie schmeißt alles allein. Denn ihr Mann ist vor einigen Jahren bei einem Skiunfall plötzlich ums Leben gekommen. Beide führten eine innige Ehe – scheinbar. Unvermittelt erhält Ruth eine anonyme Nachricht: Ihr Mann habe sie betrogen, eine Geliebte gehabt, für die er offenbar die Familie verlassen wollte. Diese Nachricht erhält nicht nur sie, die Nachricht wird auch in ihrem Umfeld verbreitet. Mit dem Ergebnis, dass sich Ruths gesamte Vergangenheit irgendwie verschiebt. Zunächst geht sie gut damit um, versucht, den Inhalt zu ignorieren, aber es lässt nicht nach, immer zahlreicher werden die Nachrichten. Ruths Suche, wer dahinterstecken könnte, verläuft im Sand. Das ist sehr fesselnd, sehr berührend geschildert. In der Erinnerung idealisiert Ruth den verstorbenen Ehemann, der sich immer um alles gekümmert hat – und plötzlich scheint das alles eine Täuschung gewesen zu sein, eine objektive Realität, die nicht real war. Sie lernt dann einen Mann kennen, einen reizvollen Mann mit faszinierendem Charakter und einer gewissen Prominenz, allerdings, wie sich schnell herausstellt, ist er ziemlich unberechenbar: Er meldet sich eine Zeit lang häufig, um dann wieder abzutauchen.

Ich bin von diesem Buch unter anderem deshalb so fasziniert, weil es auf ersten Blick um Ruths Leben und den Alltag mit ihren erwachsenen Kindern geht, aber gleichzeitig eine ganz andere Ebene von Einbildung und Realität erzählt. Die älteste Tochter etwa ist schwanger, will aber nicht verraten, von wem. Und so ist es eben vor allem die Geschichte einer Frau, die immer wieder Verantwortung für alles übernimmt. Das ist zwar enorm modern – andererseits zeigt es aber, wie veraltet dieses System und seine Rollenmuster sind. Ruths Gefühl der Verantwortung für alles geht einher mit großer Einsamkeit, trotz eines großen Freundeskreises, der ihr zur Seite steht. Das wird besonders durch die Anonymität des Internets verstärkt, die ungeheure Macht der anonymen Nachrichten, die in ihr Leben dringen und damit Ruths eigene Machtlosigkeit demonstrieren. Diese anonyme Bedrohung ohne die Möglichkeit, dagegen anzugehen, überfordert Ruth.

Dieser Roman sagt so viel über unsere Beziehungen aus, über Lebenskonzepte von Frauen in einem bestimmten Alter. Von Schein und Sein – das zeigt sich sogar in der dichten Atmosphäre, die Doris Knecht zum Beispiel in den im Waldviertel spielenden Szenen schildert. Ich will gar nicht so viel spoilern, aber eins steht fest: Man legt »Die Nachricht« nicht aus der Hand.

Wem ich es nicht empfehlen würde? Das kann ich kaum beantworten. Zwar kann ich mir vorstellen, dass Frauen mit der »Nachricht« mehr anfangen können als mancher Typ Mann, aber es ist keinesfalls ein typisches Frauen-Buch. Und auch kein Krimi, obwohl es entsprechende Elemente hat.

Was ich sonst noch lese? Ich schätze die israelische Autorin Zeruya Shalev, habe vieles gelesen von Sally Rooney, fand kürzlich Juli Zehs »Über Menschen« gut – mich interessieren einfach Bücher, die mit mir selbst etwas zu tun haben. Aber genauso genieße ich auch ganz andere Bücher, wie zum Beispiel die Bücher von Joachim Meyerhoff.

 

Ausgebildet wurde Sophie von Kessel am Wiener Max-Reinhardt-Seminar und an der New Yorker Juilliard School. Viele Jahre lang zählte die Schauspielerin zum Ensemble der Münchner Kammerspiele und des Residenztheaters, bevor sie im vergangenen Jahr zum Wiener Burgtheater wechselte. Dort wird sie demnächst zu sehen sein in einer modernen Adaption von Arthur Schnitzlers »Professor Bernardi« mit dem Titel »Die Ärztin«. Auch in zahlreichen Fernsehfilmen stellte sie ihre Vielseitigkeit unter Beweis. So ist sie Zuschauern etwa in Erinnerung als Lehrerin in »Die Konferenz«, für deren Darstellung sie den Hessischen Fernsehpreis erhielt, oder jüngst als elegante Philosophie-Professorin in »Das Verhör in der Nacht« von Matti Geschonneck. Auf dem Amsterdamer New Renaissance Film Festival wurde Sophie von Kessel kürzlich als beste Schauspielerin ausgezeichnet für ihre Rolle in »Lebendig«.

 

Die Nachricht

Von Doris Knecht (2021)

Doris Knecht, geboren in Vorarlberg, ist Kolumnistin und Schriftstellerin. Ihr erster Roman, »Gruber geht«, war für den Deutschen Buchpreis nominiert und wurde fürs Kino verfilmt. Danach erschienen »Besser«, »Wald«, »Alles über Beziehungen« und »weg«. In ihrem neuesten Roman »Die Nachricht«, der dieses Jahr bei Hanser Berlin veröffentlicht wurde, schreibt Knecht über familiäre Geheimnisse und die fatalen Folgen von Frauenverachtung und digitaler Gewalt. Der »Tagesspiegel« schrieb kürzlich über den neuen Roman: »Es gehört zur literarischen Kunst der österreichischen Schriftstellerin, aus einer zunächst einmal überschaubaren Problemlage eine Geschichte zu entwickeln, die einen erstaunlichen Sog entwickelt. Im Laufe ihrer schriftstellerischen Arbeit hat Knecht einen Stil zur Vollendung gebracht, der die Atemlosigkeit und Zerbrechlichkeit ihrer Figuren offenlegt: Hypnotische Langsätze und Kurzsatzprosa in schnoddriger Mündlichkeit wechseln sich ab.«

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